Philosophenpunsch
wohl entweder auf einer Sauftour oder im Bett eines anderen Mannes befand?
Vorher musste er allerdings noch den rasch anwachsenden Drang in einer gewissen Körpergegend loswerden, der ihn daran erinnerte, dass er das Heller allzu fluchtartig verlassen hatte, ohne vorher die Toilette aufzusuchen. Er bemerkte, dass er seine Schritte unwillkürlich in Richtung Gymnasium gesetzt hatte und jetzt bei dem kleinen Vorplatz stand, auf dem Veronikas Leiche gefunden worden war. Die polizeiliche Absperrung, die noch am Vormittag allgemeine Aufmerksamkeit erregt hatte, war bereits wieder entfernt worden, wahrscheinlich auf Betreiben Direktor Marksteiners, der um eine rasche Erledigung der letzten Arbeiten am Tatort gebeten hatte. Was lag also näher, als sich hier im intimen Umfeld seiner Arbeitsstätte des Problems zu entledigen? Das Bier drückte, und Korber eilte zur nächstgelegenen Mauer.
Kaum rann jedoch der erste warme Tropfen auf den kalten Stein, fuhr ihm der Schreck in alle Glieder. Da lag etwas. Da lag schon wieder ein Mensch, der verdammt tot aussah. Es handelte sich offenbar um einen Mann, unter dessen Kopf sich eine kleine Blutlache gebildet hatte und um den herum Glasscherben verstreut waren. Es hatte den Anschein, dass er mit einer Flasche niedergeschlagen worden war. Und er rührte sich nicht.
Wieder gaben Korbers Beine leicht nach. Er fühlte sich plötzlich ganz allein. Nicht einmal die sturzbetrunkene Julia Leichtfried vom Vortag war da, für die er zu seinem eigenen Besten eine Art Beschützergefühl entwickeln hätte können. Was also tun? Mit äußerstem Widerwillen überwand er sich, tat ein paar Schritte nach vorn und blickte in die Richtung des am Boden Liegenden. Es war Bernhard Klein, das konnte er jetzt deutlich sehen.
Ein panikartiges Gefühl überkam ihn. Er mühte sich auf die Straße zurück, wo er zuerst bemerkte, dass es der Anstand gebot, sein bestes Stück wieder ordentlich zu verstauen, und dann unverzüglich Leopold anrief. »Du … du wirst es nicht glauben«, stammelte er ins Telefon. »Aber da … da ist schon wieder ein Toter. Genau dort, wo Veronika gestern gelegen ist.«
*
»Weißt du, wann ein Mensch gestorben ist? Wenn er nicht mehr atmet. Wenn er die Augen nach oben verdreht. Wenn er schon starr ist. Oder – ganz wichtig – wenn er keinen Puls mehr hat«, klärte Leopold Korber auf. »Nur, weil jemand bewusstlos auf dem Boden liegt und ein bisschen Blut unter seinem Kopf hat, ist er noch nicht tot. Gut, dass ich schnell nachsehen gekommen bin, ehe ich die Polizei verständigt habe.«
»Aber es war dunkel. Außerdem: Hast du schon einmal an zwei Tagen hintereinander solch eine grausige Entdeckung gemacht? Da muss man ja den Verstand verlieren. Es hat mich schon eine gehörige Überwindung gekostet, nachzusehen, um wen es sich handelt«, gab Korber zerknirscht zu.
»Ist schon gut. Sie schicken ohnehin immer einen Arzt vorbei, der den Tod feststellen muss«, beruhigte Leopold ihn. »Blamiert hätten wir uns halt. Und für den armen Kerl war es sicher besser, dass gleich die Rettung gekommen ist und kein Leichenwagen. Bei diesen Temperaturen erfriert man leicht. Gott sei Dank dürfte alles noch nicht lang her gewesen sein.«
Leopold war auf Korbers Anruf hin natürlich sofort zum Tatort geeilt, hatte sich rasch von dessen Irrtum überzeugt und dann die nötigen Schritte eingeleitet. Vom Szenario her war alles ziemlich klar. Klein war von hinten mit einer Flasche, allem Anschein nach einer Weinflasche, niedergeschlagen worden. Darüber waren sich auch Oberinspektor Juricek und Inspektor Bollek gleich einig gewesen. Klein war vermutlich mit einer schweren Gehirnerschütterung davongekommen, beim Abtransport mit dem Rettungswagen aber noch immer ohne Besinnung gewesen.
»Ich möchte jetzt gehen«, beschloss Korber. »Es reicht mir für heute.«
»Langsam, langsam«, bremste Leopold ihn. »Hast du auch eine vollständige Aussage gemacht? Der Herr Inspektor ist da ganz genau.«
»Ja, wir haben vorläufig alles«, bestätigte Bollek. »Außerdem ist der Herr Magister ja nicht aus der Welt.«
Der Herr Magister! Was sollte diese Anbiederung schon wieder? Leopold schlug der süßliche Ton Bolleks mehr auf den Magen als seine früheren cholerischen Attacken, denen er immer elegant ausweichen hatte können. »Dann ist ja alles in schönster Ordnung, und ich kann mich wieder den Gästen im Kaffeehaus widmen«, brummte er.
»Der Herr Oberinspektor wartet dort schon auf Sie«,
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