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Philosophische Anthropologie

Philosophische Anthropologie

Titel: Philosophische Anthropologie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerald Hartung
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einer »naturalistischen Niveausenkung« (Helmuth Plessner). Im Hinblick auf eine Theorie vom Menschen markiert es zugleich den ersten anspruchsvollen Versuch, ein Konzept des philosophischen Monismus zu entwerfen, ohne zugleich in die Fallstricke eines mechanistischen Weltbilds zu geraten. Mit der Betonung eines schöpferischen Moments von Entwicklung tritt Bergson in Opposition zum Darwinismus und entwirft das Bild einer »wahrhaften Kosmogonie«, wie Max Scheler hervorhebt.
    Max Scheler (1874–1928) kann als Vollender der lebensphilosophischen Tradition und Begründer der philosophischen Anthropologie angesehen werden. In seiner kleinen Abhandlung
Versuche einer Philosophie des Lebens
(1914) resümiert [58] er diese Denkrichtung von Nietzsche bis Bergson. Auch für Scheler ist die Lebensphilosophie vor allem eine Gegenbewegung zum Darwinismus im Wissenschaftsdiskurs des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Stärker als seine Vorgänger sieht er in ihr jedoch die Erbschaft und das Bedürfnis nach einer zeitgemäßen Rekonstruktion von Metaphysik und Theologie am Werk. Für den Menschen geht es angesichts der Zumutungen eines mechanistischen Weltbilds um alles. In einer Philosophie des Lebens geht es dementsprechend, wie Scheler in Übernahme einer Formulierung Goethes vermerkt, um nicht weniger als einen »erlebenden Verkehr mit Gott und All«.
    So zeigt Scheler, dass die Lebensphilosophie von Nietzsche bis Bergson ein erster Schritt in die richtige Richtung war, aber entweder einer heillosen Metaphysikkritik aufsaß oder in ihrem Bestreben, die Einzelwissenschaften vom Menschen auf ein metaphysisches Fundament zurückzuführen, nicht konsequent genug vorangeschritten ist. Seiner Ansicht nach muss das Verhältnis von Mensch und Welt neu bestimmt werden, wenn mit seiner Zurückstellung in die Natur nicht auch der letzte Rest der Menschenwürde verloren gehen soll.
Max Scheler
    Max Schelers Abhandlung
Zur Idee des Menschen
(1914) führt direkt ins Zentrum seiner philosophischen Anthropologie. Zum einen betont Scheler, dass sich »alle zentralen Probleme der Philosophie auf die Frage zurückführen [lassen], was der Mensch sei und welche metaphysische Stelle und Lage er innerhalb des Ganzen des Seins, der Welt und Gott einnehme« (Scheler 1955, 173). Zum anderen hebt er hervor, dass alle tradierten Antworten auf diese Frage einseitig oder schlichtweg falsch seien. Die philosophische Anthropologie ist nach Scheler die philosophische Disziplin, [59] die uns erst wieder lehren soll, in angemessener Weise nach dem Menschen zu fragen.
    Dabei ist zu beachten, dass der Mensch einerseits Teil der natürlichen Entwicklungsgeschichte allen Lebens ist, andererseits aber das einzige Wesen ist, das ebendiese natürlichen Grenzen verletzt. Der Mensch ist das »sich selbst transzendierende Wesen«. Die traditionellen Theorien vom Menschen definieren ihn im Licht seines vermeintlichen Ursprungs und versäumen es, die Tendenz zu beobachten, die sich in all seinem Handeln ausdrückt. Es ist, so betont Scheler, ein großer Irrtum, dem Menschen eine feste Position zwischen den Polen des organischen Lebensstroms (élan vital) und eines höheren Seins (Gott) zuzusprechen, denn »diese Station existiert nicht und gerade die
Undefinierbarkeit
gehört zum Wesen des Menschen. Er ist nur ein ›Zwischen‹, eine ›Grenze‹, ein ›Übergang‹, ein ›Gotterscheinen‹ im Strome des Lebens und ein ewiges ›Hinaus‹ des Lebens über sich selbst.« (Scheler 1955, 186)
    Ist der Mensch vom Ursprung her betrachtet undefinierbar, weil er so viele Ursprünge und Definitionsmerkmale wie Fähigkeiten (Spracherwerb, Werkzeugbau etc.) hat, dann muss ein Zielpunkt bezeichnet werden, an dem die Einheit seiner Idee festgemacht werden kann. Scheler spricht vom Menschen als »Gottsucher« und meint damit die Erkenntnis, dass es keine natürliche Einheit des Menschen gibt. Die Vielfalt menschlicher Selbstzuschreibungen lässt sich nur in einer »Idee« vom Menschen bündeln. In dieser Vorstellung ist nicht nur das philosophische Projekt der Selbstbesinnung, sondern auch ein wissenschaftstheoretisches Konzept enthalten. Scheler selbst hat dieses Konzept nicht in die Tat umgesetzt. Allein seine kleine Schrift
Die Stellung des Menschen im Kosmos
(1928) skizziert seine Vorstellung einer Grundwissenschaft vom Wesen des Menschen, die den Einzelwissenschaften ein solches Fundament geben soll. Die Kernthese der schelerschen Anthropologie besteht in einem

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