Phobia: Thriller (German Edition)
und ein überdimensionaler Santa Claus verkündete von einem Plakat, dass es höchste Zeit sei, die Welt der unendlichen Geschenkideen bei Selfridges zu entdecken. Daneben blinkte ein neonfarbener Schriftzug auf einem Plastikweihnachtsbaum von der Größe eines Elefanten. Der Countdown läuft .
Wie treffend , dachte Mark in einem Anflug von Zynismus. Mit jedem Tag, den Stephen Bridgewater in den Händen seines Entführers verbrachte, würde seine Überlebenschance geringer werden. Denn da es diesem Unbekannten offensichtlich nur um Sarah ging, zweifelte Mark daran, dass er sich um das Wohl seines Gefangenen groß kümmerte.
Wenn er denn überhaupt gefangen und nicht längst umgebracht und irgendwo verscharrt war.
Er entdeckte Sarah, die durch die Menschenmenge auf ihn zukam. Sie sah bleich und erschöpft aus, auch wenn sie versucht hatte, ihre Augenringe mit Make-up zu kaschieren. Ihre Wangen wirkten eingefallen, und ihr heller Mantel flatterte im Wind, als sei er ihr zu groß geworden. Bestimmt hatte sie auch letzte Nacht kein Auge zugetan.
»Okay«, sagte sie, als sie bei ihm angekommen war. »Bringen wir es hinter uns.«
Ihr Plan war einfach. Da der Unbekannte nichts von Mark wusste – so hofften sie jedenfalls –, würde Mark ihr bis zum Café folgen und dort neben dem Eingang warten. Sarah würde mit dem Mann sprechen. Anschließend würde Mark ihm folgen, in der Hoffnung, dass er ihn zu dem Versteck führte, in dem er Stephen gefangen hielt. Dann konnten sie die Polizei verständigen.
Die letzte Station bis Charing Cross fuhren sie getrennt. Mark ließ Sarah einen knappen Vorsprung und folgte ihr dann durch den Ausgang an der Duncannon Street, die zur Rückseite der Kirche St. Martin-in-the-Fields führte.
Als Sarah vor dem unscheinbaren Eingang zur Krypta angekommen war, blieb sie kurz stehen. Sie musste sich sammeln und all ihren Mut zusammennehmen. Dann stieg sie die Treppe hinab, ohne sich noch einmal umzusehen.
Mark stellte sich in den Windschatten einer Telefonzelle unweit des Eingangs und wartete. So unauffällig wie möglich beobachtete er die Passanten und hielt nach einem Mann mit vernarbtem Gesicht Ausschau. Dabei umklammerte er das Handy in seiner Jackentasche und war im Geiste bei Sarah.
Warum hatte dieser Mann sie ausgerechnet hierher bestellt? Was führte er im Schilde?
Über ihm schlug die Kirchturmglocke zwölfmal.
55.
Auf der Treppe zur Krypta musste Sarah sich am Geländer festhalten. Ihr war vor Aufregung und Erschöpfung schwindlig. Sie hatte in der letzten Nacht schlechter geschlafen denn je. Am Morgen hatte sie sich gezwungen etwas zu essen, aber sie hatte fast nichts hinunterbekommen.
Vorsichtig ging sie weiter, Stufe um Stufe, während Menschen an ihr vorbeidrängten, schwatzend, lachend.
Sarah zitterte, und ihre Knie fühlten sich an, als wollten sie ihr jeden Augenblick den Dienst versagen. Sie war schweißgebadet und musste an jenen Moment zurückdenken, als sie vor ihrer Bürotür gestanden und die Türklinke angestarrt hatte. An die namenlose Angst, die es ihr unmöglich gemacht hatte, das Büro zu betreten. An ihre Phobie, ihre Versagensangst.
Wie damals befand sie sich auch jetzt auf dem Weg zu einem vertrauten Raum, der sich in eine Bedrohung verwandelt hatte. Doch dieses Mal gelang es ihr weiterzugehen. Dieses Mal hatte die Bedrohung ein konkretes Gesicht, und es ging um weit mehr als nur um sie selbst.
Dieses Mal blieb ihr keine Wahl, als sich ihrer Phobie zu stellen.
Noch bevor sie den Fuß der Treppe erreicht hatte, schlug ihr der vertraute kühle Hauch von Stein entgegen, vermischt mit den Gerüchen nach Küche, Kaffee und Backwaren. Sie würgte, hielt den Atem an und versuchte, den säuerlichen Geschmack in ihrem Mund zu ignorieren. Sie schloss für einen Moment die Augen, atmete tief durch und ging dann weiter.
Das Café in der Krypta war ein beliebter Anlaufpunkt für Londoner und Touristen gleichermaßen, und wie schon während Sarahs Studentenzeit, wenn sie sich hier mit ihren Freundinnen getroffen hatte oder später mit Stephen, waren die Tische zur Mittagszeit voll besetzt. Lautes Stimmengewirr hallte unter der Bogendecke des großen Gewölbes wider. Die etlichen breiten Pfeiler machten es unmöglich, alle Tische zu überblicken, sodass Sarah keine Wahl blieb, als durch die Reihen zu gehen und nach dem Mann mit dem Narbengesicht Ausschau zu halten.
Es war ein idealer Ort, um in der Menschenmenge unterzutauchen, dachte sie. Hier würde er
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