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Phönix

Phönix

Titel: Phönix Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Steven Brust
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beängstigend, als könnte sie gerade eben einen Zorn im Zaume halten, der das Schwarze Schloß zerstören würde.
    Das alles bemerkte ich im Hinterkopf, während ich mich bemühte, mein eigenes Temperament in den Griff zu bekommen, wenigstens so lange, bis ich mich entscheiden konnte, gegen wen ich es loslassen konnte.
    Dann wurde mir plötzlich klar, wer das sein sollte, und ich sagte: »Lord Morrolan, hoch oben in einem Turm ist doch ein Raum mit vielen Fenstern. Diesen Raum würde ich gerne aufsuchen.«
    Lange schaute er mich an, dann sagte er: »Ja. Geh, Vlad, mit meinem Segen.«
    Durch die Tür, links, den Gang entlang zur breiten schwarzen Marmortreppe, die zur Eingangshalle führte. Die Stufen hinunter, durch die Halle zum Südflügel, dann nach oben, am unteren Speisesaal vorbei, an den südlichen Gästequartieren, eine halbe Treppe hoch, umdrehen, nochmal umdrehen, durch die schwere Tür, die sich auf meinen Befehl hin öffnet, denn ich arbeite für Morrolan und habe an den Bewachungszaubern mitgeholfen.
    »Bist du sicher, daß das eine gute Idee ist, Boß?«
    »Natürlich nicht. Stell keine blöden Fragen.«
    »’tschuldigung.«
    Ein Raum, völlig schwarz, erhellt von Kerzen aus dem Wachs aus dem Fett der Hinterschinken eines jungfräulichen Widders mit Dochten aus den Wurzeln der Niefortrebe, das Ganze mit Krippenbeerenduft überlagert, so daß es wie die letzte Neige süßen Weins roch, der gerade zu Essig wurde. Vier Kerzen brannten, und sie tanzten zur Feier meiner Ankunft.
    Überbleibsel von Morrolans Experimenten mit der Hexenkunst lagen auf kleinen und großen Tischen herum, und sein steinerner Altar war, schwarz vor schwarz, am anderen Ende kaum zu erkennen. Hier hatte ich hilflos gelegen, während Morrolan gegen einen Dämon kämpfte, der ihm sein eigenes Schwert entwunden hatte. Hier hatte ich mit Geistern aus der Heimat meiner Vorfahren um die Freigabe der Seele der Totenbeschwörerin geschachert. Hier hatte ich mit meinem Ebenbild gefochten, das mich in das Land holen wollte, aus dem niemand wiederkehrt.
    Doch egal, egal. Ich trat auf die schmale Metalltreppe, die sich aufwärts wand und mich schließlich in den Turm der Fenster führte, wo ich einst eine Zauberin gefoltert hatte, bis sie die Zaubersprüche zu Morrolans Wiederbelebung preisgab. Das war nicht lange her, und der Geschmack dieser Erfahrung lag mir noch auf der Zunge. Doch auch das war jetzt egal.
    Der sicherste Weg, eine Verbindung zu Verra, der Dämonengöttin, zu, bekommen, war ein Menschenopfer, das nie darzubringen mein Großvater mich hatte schwören lassen. Trotzdem glaube ich, hätte ich die Mittel dazu parat gehabt, hätte ich nun eines dargebracht. Ich schaute mich im Turm um, voller Fenster, die nicht auf den Hof unten blickten, manche nicht einmal auf die Welt, wie ich sie kannte, manche nicht einmal auf das, was ich unter Wirklichkeit verstand. Ich versuchte, meinen Geist für das, was ich vorhatte, vorzubereiten.
    Willkürlich wählte ich ein Fenster aus, ein niedriges, breites, und setzte mich davor. Es blickte auf dichten Nebel, Wirbel, dazwischen Bäume und hohes Buschwerk, aber auch Bewegungen, vermutlich von kleinen Tieren. Ich hatte keine Ahnung, ob ich meine eigene Welt sah oder eine andere, und es war unwichtig.
    Loiosh setzte sich auf meine Schulter, und sein Geist verband sich stärker mit meinem eigenen. Ich ging zurück zu meinen frühesten Erinnerungen an die Dämonengöttin, Instruktionen meines Großvaters über die angemessenen Rituale, Erzählungen von Schlachten gegen andere Götter, besonders Barlen, ihren Feind und Liebhaber. Ich erinnerte mich, wie ich sie auf den Pfaden der Toten sah, ihre eigenartige Stimme und ihre vielgliedrigen Finger und ihre Augen, die gleichzeitig durch und in mich zu blicken schienen. Ich erinnerte mich, wie sie mir den Auftrag zur Ermordung des Königs von Grünewehr gab; war das erst Tage her?
    Während ich mich erinnerte und mich von der Ehrfurcht des Ostländers und dem Respekt der Dragaeraner durchfluten ließ, kam mir der Gedanke, daß man Blutopfer nicht nur auf die eine Weise bringen konnte. Ich nahm meinen Dolch und schlitzte mir die linke Handfläche auf, ohne große Schmerzen zu spüren. »Verra!« rief ich. »Dämonengöttin meiner Vorfahren! Ich komme zu dir!« Ich schüttelte Blutstropfen aus dem Fenster.
    Sie verschwanden im Nebel, der wirbelte und heller wurde, bis er nach wenigen Augenblicken reines, konturloses Weiß war. Auch dies schien sich zu

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