Phönix
einen Ecke des Spiegels. Die Badezimmertür stand offen, ich konnte sie aufrecht im Bett sitzen sehen. Ihr rötlichbraunes Haar fiel über die schlanken weißen Schultern, die durch das Nachthemd schimmerten. Sie hat sich gut gehalten, dachte ich stolz. Niemand hätte vermutet, daß wir in etwa drei Wochen zwanzig Jahre verheiratet waren.
Zwanzig Jahre. Zwei Kinder - ein Junge von neunzehn und ein Mädchen von sechzehn -, und trotzdem sah sie noch wie ein junges Mädchen aus. Sie war schlank, zartgliedrig und trug immer noch die gleiche Größe achtunddreißig wie damals, als wir heirateten. Ihre grauen Augen waren genauso groß, strahlend und frisch wie einst, ihr Mund weich und voll. Er gefiel mir auch ohne Lippenstift. Er war warm, frisch und natürlich, ihr Kinn voll, vielleicht ein bißchen eckig.
Ich sah, wie sie aus dem Bett stieg und in ihren Morgenmantel schlüpfte. Ihre Figur war genau dieselbe geblieben, jung, gesund und aufregend. Ich beobachtete sie, wie sie aus dem Blickfeld des
Spiegels verschwand, und wandte mich dann wieder der ernsten Beschäftigung des Rasierens zu. Ich fuhr mit den Fingern über mein Kinn. Immer noch rauh. Jeden Morgen dasselbe. Ich mußte mich stets zweimal rasieren, bevor sich meine Haut glatt anfühlte. Ich griff wieder nach dem Rasierpinsel und begann, mein Gesicht von neuem einzuseifen. Plötzlich merkte ich, daß ich vor mich hinsummte.
Mit einiger Überraschung schaute ich mein Spiegelbild an. Denn gewöhnlich summe ich nicht beim Rasieren. In der Regel bin ich dabei alles andere als vergnügt, weil ich Rasieren hasse. Wenn es nach mir ginge, ließe ich mir einen schwarzen Vollbart stehen.
Marge lacht mich immer aus, wenn ich über das Rasieren jammere. »Warum suchst du dir keine Stellung, bei der du Gräben ausschachten kannst?« sagt sie dann stets. »Die Figur dazu hast du!«
Das Gesicht dazu hatte ich auch. Woran man mal wieder deutlich sieht, daß man einem Menschen nicht am Gesicht ansehen kann, was er von Beruf ist. Ich habe eines jener breiten grobschlächtigen Gesichter, die man eigentlich bei einem Holzfäller vermutet. Dabei kann ich mich nicht erinnern, wann ich das letztemal draußen gearbeitet habe. Ich mache keinen Finger krumm, um im Garten zu helfen.
Ich summte also leise vor mich hin und rasierte mich zum zweitenmal. Ich war glücklich - warum sollte ich das unterdrücken? Es ist doch großartig, wenn einem Mann das nach zwanzigjähriger Ehe passierte!
Ich rieb mein Gesicht mit etwas Rasierwasser ein, spülte den Apparat ab und kämmte mein Haar. Das war ein Pluspunkt für mich. Ich hatte immer noch einen ganz beachtlichen Haarwuchs, obwohl ich in den letzten fünf Jahren ziemlich grau geworden war.
Als ich ins Schlafzimmer zurückkam, war es leer. Aber Unterwäsche, Socken, ein sauberes Hemd, Krawatte und ein Anzug lagen ausgebreitet auf meinem Bett. Ich grinste vor mich hin. Marge ging im Hinblick auf meinen Geschmack kein Risiko ein. Ich war mehr für kräftige Farbzusammenstellungen. Aber sie meinte, das ließe sich nicht mit meiner Stellung vereinbaren, ich müsse seriös aussehen.
Das war nicht immer so, erst in den letzten acht oder neun Jahren. Vorher hätte ich eine Pferdedecke umhaben können, und kein Mensch hätte daran Anstoß genommen. Aber jetzt war ich kein simpler Presseagent mehr. Jetzt war ich Werbeberater mit einem Einkommen von dreißigtausend Dollar im Jahr anstelle von dreitausend und einem piekfeinen Büro in der Madison Avenue anstelle einer Küchentischbreite in einem Raum von der Größe einer Telefonzelle.
Als ich angezogen war und in den Spiegel schaute, mußte ich Marge recht geben. Der alte Knabe sah solid aus. Die Kleidung machte etwas aus mir. Sie milderte die Derbheit meines Gesichts, sie verhalf mir zu einem guten Eindruck und einem vertrauenswürdigen Ausdruck. Als ich ins Speisezimmer kam, saß Marge bereits am Frühstückstisch und las einen Brief. Ich ging zu ihr hinüber und küßte sie auf die Wange. »Morgen Kleines«, sagte ich.
»Morgen, Brad«, erwiderte sie, ohne von dem Brief aufzuschauen. Ich blickte über ihre Schulter. Eine vertraute Handschrift. »Brad?« fragte ich. Das bedeutete Brad Rowan junior. Er war das erste Jahr auf dem College und gerade lange genug fort, um nur noch einmal wöchentlich statt täglich zu schreiben. Sie nickte.
Ich setzte mich an meinen Platz. »Na, was schreibt er denn?« erkundigte ich mich und nahm mein Glas Orangensaft in die Hand. Ihre grauen Augen blickten mich
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