Phönix
Brad, wenn Sie's nicht anders haben wollen.«
»Nein.«
Einen Augenblick herrschte betretenes Schweigen, dann kam die Frage: »Kommen Sie heute nacht zurück?«
Ich hatte die Antwort sofort auf den Lippen.
»Nein. Morgen früh. Ich habe heute abend noch mal eine Verabredung mit Brady.«
»Soll ich Marge anrufen und ihr Bescheid sagen?« fragte er förmlich.
»Ich ruf sie selbst an. Bis morgen.«
»Hals- und Beinbruch«, sagte er, bevor wir wieder auflegten. Aber seine Stimme klang nicht begeistert.
Ich gab der Vermittlung meine Privatnummer. Bis Marge an den Apparat kam, hatte ich Zeit, mir einen Whisky einzugießen. Er schmeckte vorzüglich. Allmählich fand ich Geschmack an dem Zeug, stellte ich düster fest. Dann hörte ich ihre Stimme.
»Hallo, Kleines«, rief ich.
Ihre Stimme klang erfreut. Sie kannte mich zu gut, um zu fragen, wie alles gegangen war. Ich würde es ihr schon früh genug erzählen. »Du scheinst müde.«
Zwei Worte hatte ich nur gesagt, und doch wußte sie, daß ich erledigt war. »Mir geht's gut«, versicherte ich rasch. »Dieser Brady ist eine harte Nuß.«
»Warst du den ganzen Tag in seinem Büro?«
Ich war froh, daß sie es so formulierte. So mußte ich wenigstens nicht lügen.
»Ja«, sagte ich. »Er bot mir einen Posten an. Sechzigtausend im Jahr.«
»Na, das klingt aber nicht sehr glücklich«, meinte sie.
»Bin ich auch nicht. Ich habe sein Angebot abgelehnt. Ich mag ihn nicht.«
Ihre Antwort war so anständig, so voll Vertrauen, daß ich mich einen Augenblick lang einfach lausig fühlte. »Du weißt schon, was du tust, Brad«, antwortete sie, ohne zu zögern.
»Hoffentlich«, sagte ich. »Das kann bedeuten, daß der ganze Stahlauftrag in die Binsen geht.« »Es gibt noch andere. Das beunruhigt mich nicht.«
»Bevor die Nacht um ist, werde ich mehr wissen«, fügte ich rasch hinzu. »Er hat mich zum Essen eingeladen.«
»Was immer du tust, ich bin damit einverstanden.«
Ihr Vertrauen bereitete mir Unbehagen. Ich wechselte rasch das Thema. »Wie geht's Jeannie?«
»Gut«, antwortete sie, »sie tut sehr geheimnisvoll. Sie macht allerhand Andeutungen von einer Überraschung zu unserem Hochzeitstag. Ich bin gespannt, was sie vorhat.« Ich war bereit, jede Wette einzugehen, daß sie Marge von dem Mantel erzählen würde, bevor noch der Hochzeitstag da war. »Gibt's was Neues von Brad?«
»Heute morgen kam ein Brief. Er ist immer noch erkältet und liegt seit ein paar Tagen im Bett. Ich mache mir Sorgen.«
»Das mußt du nicht, Kleines«, beruhigte ich sie, »er wird schon wieder gesund.«
»Aber er liegt im Bett; er ist bestimmt richtig krank. Du weißt doch, wie er ist.«
»Er ist bestimmt nicht kränker als ich«, sagte ich. »Er schwänzt nur ein paar Tage die Schule.«
»Aber ...«
»Es ist schon nichts Schlimmes, Marge. Hör auf, dir Sorgen zu machen. Ich bin morgen wieder zurück.«
»Na gut«, sagte sie. »Beeil dich, du fehlst mir.«
»Du fehlst mir auch, Kleines«, sagte ich. »Wiedersehen.«
Ich legte den Hörer auf, goß mir Whisky nach, tat ein paar Eisstückchen in mein Glas und streckte mich auf die Couch. Mir war komisch zumute. Irgend etwas stimmte nicht mit mir. Aber ich kam nicht dahinter, was es war. Das berühmte Gewissen hätte mir eigentlich schon längst die Zähne einschlagen müssen, aber bisher hatte es sich überhaupt nicht um mich gekümmert. Vielleicht täuschte sich Matt Bradys Mädchen, vielleicht war ich keinen Deut anders als die anderen Kerle. Konnte durchaus sein, daß ich ein Betrüger war, der von Natur aus immer nur Platz für jeweils eine Dame hatte. Vielleicht war ich damit auch etwas zu spät dran. Ich weiß es nicht.
Elaine. Ihr Name kreuzte meine Gedanken, und ich lächelte, als ich an sie dachte. Wenn jemals eine Frau für einen Mann erschaffen wurde, dann war sie es. Alles an ihr war erstklassig und reinstes Vergnügen. Ihre Augen, ihre stramme kleine Figur und die Art und Weise, wie sie ging. Ich trank noch einen Schluck und schloß die Augen, um sie besser vor mir zu sehen. Es war, als ob man das Licht abschaltete, um zu träumen. Und das tat ich.
In meinem Traum war sie das kleine Mädchen, das am Sutton Place wohnte. Ich erinnerte mich, wie ich von unserer Wohnung von der Third Avenue aus durch die Unterführung der Hochbahn ging, um sie zu beobachten. Sie war sehr schön mit ihren langen blonden Haaren, und ihre sorgfältig gekleidete Gouvernante war ständig um sie herum. Niemals schaute sie mich auch nur an,
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