Physiologie der Ehe (German Edition)
der Minotauros verschlang ein neues Opfer.
Welche Vorschriften kann man geben für den Kampf mit solchen Gegnern? Sie haben die ganze Diplomatie des Wiener Kongresses in ihren Köpfen; sie sind ebenso stark, wenn sie sich hingeben, wie wenn sie sich der Umarmung entziehen. Welcher Mann ist geschmeidig genug, um seine Kraft und Stärke abzulegen, um seiner Frau in dieses Labyrinth folgen zu können?
In jedem Augenblick für die Lüge reden, um die Wahrheit zu erfahren – für die Wahrheit, um die Lüge zu entdecken: unversehens die Batterie wechseln und sein Geschütz vernageln, in dem Augenblick, wo es Feuer geben soll; mit dem Feind auf einen Berg steigen, um fünf Minuten darauf wieder unten in der Ebene zu sein; ihn auf seinen Zickzackbewegungen zu verfolgen, die so schnell und so verworren sind, wie der Flug eines Kiebitzes in der Luft; gehorchen, wenn es not tut, und zur rechten Zeit einen Widerstand der Trägheit entgegensetzen; wie ein junger Künstler, der in einem einzigen Zuge die ganze Tonleiter von der niedrigsten Taste seines Pianos bis zur höchsten durchläuft, in einem Nu die ganze Stufenfolge aller möglichen Mutmaßungen durchmessen und die geheime Absicht zu erraten wissen, die eine Frau bewegt; sich vor ihren Liebkosungen in acht nehmen und darin weniger Liebeswonnen, als geheime Hintergedanken suchen – dies alles ist ein Kinderspiel für einen klugen Mann, der jene leuchtende Vorstellungs- und Beobachtungsgabe besitzt, die das Denken zu einem Handeln machen. Aber es gibt eine ungeheure Menge von Ehemännern, die der bloße Gedanke erschreckt, solche Grundsätze gegen eine Frau in Anwendung bringen zu sollen.
Diese Leute bringen lieber ihr ganzes Leben damit zu, sich alle mögliche Mühe zu geben, um ein Schachspieler zweiten Ranges zu werden oder auf dem Billard mit Eleganz einen Ball machen zu können.
Einige werden dir sagen, sie seien nicht imstande, beständig in solcher Weise ihren Geist in Spannung zu halten und mit allen ihren Lebensgewohnheiten zu brechen. Dann triumphiert eben die Frau. Sie erkennt, daß sie ihrem Mann an Geist oder Energie überlegen ist, obwohl diese Überlegenheit nur eine augenblickliche ist, und hieraus entsteht in ihr ein Gefühl der Verachtung gegenüber dem Familienoberhaupt.
Wenn so viele Männer nicht Herren in ihrem eigenen Hause sind, so liegt das nicht an Mangel an gutem Willen, sondern an Mangel an Talent.
Allerdings haben die Kühnen, die sich auf diesen, wenn auch kurz dauernden furchtbaren Zweikampf einlassen, eine große moralische Kraft nötig.
Denn im Augenblick, wo man alle Hilfsmittel dieser geheimen Strategie anwenden muß, ist es oft zwecklos, diesen satanischen Geschöpfen Schlingen zu legen. Sind die Frauen einmal auf einem bestimmten Punkt angelangt, so daß sie sich verstellen wollen, so wird ihr Antlitz so undurchdringlich wie das Nichts. Die folgende Geschichte ist ein Beispiel aus meiner eigenen Erfahrung!
Eine sehr junge, sehr hübsche und sehr geistreiche Pariser Kokette lag noch im Bett; neben ihrem Bett saß einer ihrer liebsten ›Freunde‹. Da kommt ein Brief eines andern Freundes, eines sehr leidenschaftlichen Herrn, dem sie das Recht eingeräumt hatte, als Herr und Meister zu sprechen. Das Briefchen war mit Bleistift geschrieben und lautete folgendermaßen:
»Ich erfahre, daß in diesem Augenblick Herr C. bei Ihnen ist; ich warte auf ihn, um ihm eine Kugel in den Kopf zu jagen.«
Frau D. fährt ruhig in der Unterhaltung mit Herrn C. fort; sie bittet ihn, ihr eine kleine Schreibmappe von rotem Maroquinleder zu geben; er bringt sie ihr.
»Danke, Lieber!« sagt sie. »Reden Sie nur ruhig weiter, ich höre.«
Herr C. spricht, und sie antwortet ihm, wobei sie nachstehendes Briefchen schreibt:
»Sobald Sie eifersüchtig auf C. sind, könnt ihr euch alle beide eine Kugel durch den Kopf schießen, ganz nach eurem Belieben; ihr könnt sterben, aber den Geist aufgeben ... wohl kaum.«
»Mein guter Freund,« sagt sie zu C., »zünden Sie bitte diese Kerze an. Schön, Sie sind anbetungswürdig. Und nun bereiten Sie mir das Vergnügen, mich aufstehen zu lassen, und übergeben Sie diesen Brief Herrn von H., der vor meiner Tür darauf wartet.«
Dies alles wurde mit einer unnachahmlichen Kaltblütigkeit gesagt. Keine Bewegung war im Ton ihrer Stimme, in den Zügen ihres Antlitzes wahrnehmbar. Der kühne Einfall wurde durch einen vollständigen Erfolg gekrönt. Als Herr von H. die Antwort aus der Hand des Herrn C. empfing, fühlte
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