Physiologie der Ehe (German Edition)
Stelle oder in jahrhundertelangen Perioden.
Dies ist, um es in wenige Worte zusammenzufassen, auch bei unserm Werke der Fall.
Solange wir mit einer untätigen, schlafenden Frau zu tun hatten, war nichts leichter, als die Netze zu flechten, in denen wir sie gefangen hielten; aber sobald sie erwacht und sich wehrt, gerät alles in Verwirrung. Sollte ein Ehemann versuchen wollen, die Grundsätze des vorhergehenden Systems unseres zweiten Teiles anzuwenden, um seine Frau in den zerlöcherten Netzen desselben zu fangen, so gliche er Wurmser, Mack und Beaulieu, welche Märsche und Gegenmärsche machten, während Napoleon sie schnell umzingelte und sich ihre eigenen Kombinationen zunutze machte, um sie zu vernichten.
So wird es deine Frau machen.
Wie könntest du die Wahrheit erfahren, wenn ihr sie euch einander unter der gleichen Lüge verhehlt und wenn ihr euch die gleiche Falle stellt? Wem wird der Sieg bleiben, wenn ihr beide mit den Händen in die gleiche Schlinge geraten seid?
»Mein lieber Schatz, ich muß ausgehen, ich muß zu Madame Soundso, ich habe den Wagen bestellt. Wollen Sie mit mir kommen? Bitte, seien Sie mal liebenswürdig und begleiten Sie Ihre Frau.«
Du denkst bei dir selber:
»Sie wäre schön hereingefallen, wenn ich annähme! sie bittet mich nur darum so sehr, weil sie ein Nein von mir haben will.«
Du antwortest ihr also:
»Das trifft sich gut: ich habe gerade eine Angelegenheit mit dem Herrn Soundso zu erledigen; er hat nämlich einen Bericht zu erstatten, der unsere Interessen bei dem und dem und jenem schädigen kann; ich muß daher unbedingt mit ihm sprechen. Hierauf muß ich ins Finanzministerium gehen; es trifft sich also ganz ausgezeichnet.«
»Schön, mein Engel! Zieh dich an, während Céline meine Toilette fertig macht; aber laß mich nicht warten.«
»Hier, mein Herz, bin ich fix und fertig!« sagst du, indem du eine Minute darauf angezogen und rasiert in ihr Zimmer trittst.
Aber inzwischen hat sich alles geändert: Ein Brief ist angekommen; Madame ist unwohl; das Kleid sitzt schlecht; die Schneiderin soll gleich kommen, oder wenn es nicht die Schneiderin ist: dein Sohn, deine Mutter. Von hundert Ehemännern gehen neunundneunzig ganz zufrieden ab und halten ihre Frauen für wohlbehütet, während sie in Wirklichkeit von diesen an die Luft gesetzt werden.
Eine Ehefrau, der ihr Mann nicht entgehen kann, die von keiner pekuniären Verlegenheit gequält wird, und die, um den Überschuß ihrer Intelligenz zu verwenden, Tag und Nacht über die wechselnden Bilder ihres Daseins nachdenkt – eine solche Frau hat bald den Fehler entdeckt, den sie beging, indem sie sich in einer Falle fangen oder durch eine Peripetie sich überraschen ließ; sie wird also versuchen, diese Waffen gegen dich selbst zu kehren.
In der Gesellschaft ist ein Mensch, dessen Anblick deiner Frau ein eigentümliches Unbehagen erweckt; sein Ton, seine Manieren, die ganze Art seines Geistes sind ihr unleidlich. Alles an ihm verletzt sie; sie fühlt sich von ihm verfolgt, er ist ihr verhaßt; man darf zu ihr nicht von ihm sprechen. Es sieht aus, als ob sie dich absichtlich damit ärgern wolle; denn zufällig ist es ein Mann, auf den du die größten Stücke hältst; du liebst seinen Charakter, weil er dir schmeichelt: darum behauptet denn auch deine Frau, deine Achtung für ihn entspringe bloß aus Eitelkeit. Wenn bei euch ein Ball, eine Abendgesellschaft, ein Konzert sein soll, habt ihr fast immer Streit um diesen Mann, und deine Frau zankt mit dir und behauptet, du zwängest sie, Leute zu empfangen, die ihr nicht passen.
»Zum wenigsten, mein Herr, werde ich mir nicht vorzuwerfen haben, daß ich Sie nicht gewarnt habe. Wir werden von diesem Menschen noch irgendeinen Ärger haben. Verlassen Sie sich nur auf die Frauen, wenn ein Urteil über einen Mann zu fällen ist. Und erlauben Sie mir, Ihnen zu sagen, daß dieser ›Baron‹, in den Sie förmlich verliebt sind, ein sehr gefährlicher Mensch ist, und daß Sie das größte Unrecht haben, ihn in Ihr Haus zu führen. Aber so sind Sie: Sie zwingen mich, ein Gesicht zu sehen, das ich nicht ausstehen kann, und wenn ich Sie bitten würde, Herrn Soundso einzuladen, so würden Sie dazu nicht Ihre Zustimmung geben, weil Sie glauben, ich habe Vergnügen an seiner Gesellschaft! Ich muß gestehen, er ist ein gewandter Plauderer, ist ein zuvorkommender liebenswürdiger Herr; aber er kann doch nicht gegen Sie an.«
In diesen noch unförmlichen ersten Ansätzen einer
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