Physiologie der Ehe (German Edition)
der Natur gehorchen, die die Gefühle sprießen lassen. Wenn er sein Glück darin sucht, geliebt zu werden, so muß er aufrichtig lieben: nichts widersteht einer wahren Leidenschaft.
Aber Leidenschaft empfinden heißt ewig begehren.
Kann man immer seine Frau begehren?
Ja.
Die Behauptung, es sei unmöglich, immer dieselbe Frau zu lieben, ist so abgeschmackt, wie wenn man sagen wollte, ein berühmter Künstler brauche mehrere Violinen, um ein Musikstück zu spielen und eine Zaubermelodie zu schaffen.
Die Liebe ist die Poesie der Sinne. Sie teilt das Los alles dessen, was beim Menschen groß ist und aus seinem Gedanken entspringt. Sie ist entweder erhaben, oder sie ist nicht vorhanden. Wenn sie da ist, ist sie für ewig da und nimmt stets zu. Dies ist die Liebe, deren Gott, Eros, die Alten zu einem Sohne des Himmels und der Erde machten.
Die Literatur hat im ganzen nur sieben Gegenstände; die Musik drückt alles mit sieben Noten aus; die Malerei hat nur sieben Farben. Wie diese drei Künste beruht vielleicht auch die Liebe auf sieben Grundgesetzen; wir überlassen deren Feststellung dem kommenden Jahrhundert.
Wenn die Poesie, die Tonkunst und die Malerei unendlich viele Ausdrucksmöglichkeiten besitzen, so müssen die Wonnen der Liebe deren noch viel mehr darbieten; denn in den drei Künsten, die uns behilflich sind, die Wahrheit – vielleicht vergeblich – auf dem Wege der Analogien zu suchen, steht der Mensch allein mit seiner Einbildungskraft – die Liebe dagegen ist die Vereinigung zweier Leiber und zweier Seelen. Wenn die drei Hauptarten, dem Gedanken Ausdruck zu verleihen, von den von der Natur zu Dichtern, Musikern oder Malern Bestimmten ein fleißiges Studium verlangen – ist es dann nicht sinnfällig, daß man, um glücklich zu sein, zuvor in die Geheimnisse der Liebeswonne eindringen muß? Alle Menschen empfinden das Bedürfnis der Fortpflanzung, wie alle Hunger und Durst haben; aber nicht alle sind berufen, Liebeskünstler und Feinschmecker zu sein. Die Zivilisation unserer Tage hat den Beweis geführt, daß der Geschmack eine Wissenschaft und daß es keine Eigentümlichkeit gewisser bevorzugter Wesen sei, mit Verständnis zu essen und zu trinken. Die Liebeswonne, als Kunst betrachtet, harrt noch ihres Physiologen. Für uns genügt es, nachgewiesen zu haben, daß nur die Unkenntnis der Grundbedingungen des Glücks an dem Unglück schuld ist, das alle Prädestinierten erwartet.
Nur mit Zittern und Zagen wagen wir die Veröffentlichung einiger Aphorismen, die vielleicht zur Entstehung dieser neuen Kunst führen können, wie aus Gipsabgüssen die Geologie entstanden ist. Wir widmen sie dem Nachdenken der Philosophen, der heiratsfähigen jungen Leute und der Prädestinierten.
Ehekatechismus
XXVII. Die Ehe ist eine Wissenschaft.
XXVIII. Ein Mann kann sich nicht verheiraten, ohne Anatomie zu studieren und mindestens eine Frau seziert zu haben.
XXIX. Das Schicksal einer Ehe hängt von der ersten Nacht ab.
XXX. Die Frau, die ihrer freien Willensbestimmung beraubt ist, kann niemals das Verdienst haben, ein Opfer zu bringen.
XXXI. In der Liebe – ganz abgesehen von allen Seelenstimmungen – ist die Frau gewissermaßen eine Leier, die ihre Geheimnisse nur dem offenbart, der sie als Meister zu spielen weiß.
XXXII. Unabhängig von einem unwillkürlichen Widerwillen lebt in der Seele aller Frauen ein Gefühl, das sie treibt, Liebeswonnen, die der Leidenschaft entbehren, früher oder später zu verwerfen.
XXXIII. Nicht nur die Ehre, sondern zum mindesten ebenso sein eigener Vorteil gebieten einem Ehemann, sich niemals einen Genuß zu erlauben, wenn er nicht verstanden hat, in seiner Frau den Wunsch nach diesem Genuß zu erwecken.
XXXIV. Da die Wonne der Liebe durch die Vereinigung von Gefühl und sinnlichen Empfindungen hervorgerufen wird, so kann man kühn behaupten, daß die Liebesfreuden eine Art materieller Ideen sind.
XXXV. Da die Ideen eine unendliche Menge von Zusammenstellungen zulassen, so muß mit den Wonnen der Liebe das gleiche der Fall sein.
XXXVI. So wenig wie an einem Baum zwei völlig gleiche Blätter sind, finden sich im Menschenleben zwei völlig gleiche Augenblicke der Wonne.
XXXVII. Wenn zwischen einem Augenblick der Lust und dem andern Unterschiede bestehen, so kann ein Mann stets mit derselben Frau glücklich sein.
XXXVIII. Der Mann, der die Abstufungen der Wonne geschickt zu erkennen, sie zu entwickeln, ihnen einen neuen Stil, einen originalen Ausdruck zu verleihen weiß
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