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Physiologie der Ehe (German Edition)

Physiologie der Ehe (German Edition)

Titel: Physiologie der Ehe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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gab es keine Entschuldigung; man warf ihnen vor, sie seien unwissend, und benahm ihnen die Möglichkeit, etwas zu lernen; sie waren weder rechte Mütter noch rechte Gattinnen. In ihrem Müßiggang hingen sie Leidenschaften nach und dienten den Franken als ein kokettes Spielzeug, während sie wie die Römerinnen hinter den Mauern ihrer Burgen ihre Kinder zu Kriegern hätten erziehen sollen. Da in der Gesetzgebung kein einziger starker Grundsatz zum Ausdruck gebracht war, so folgte eine jede ihren Neigungen, und man sah ebenso viele Marions Delormes wie Cornelias, ebenso viele Tugenden wie Laster. Diese Frauen waren ebenso unvollkommen wie die Gesetze, unter deren Herrschaft sie standen: die einen betrachteten sie als ein Zwischending zwischen Mensch und Tier, als eine gefährliche Bestie, der die Gesetze gar nicht genug Fesseln anlegen könnten, als ein Geschöpf, das von der Natur wie so viele andere zur Lust und Freude der Männer bestimmt sei; andere betrachteten die Frau als einen aus dem Paradies verbannten Engel, als eine Quelle des Glückes und der Liebe, als das einzige Wesen, das für die Gefühle des Mannes Verständnis habe und das man zur Vergeltung für seine Leiden mit einer abgöttischen Verehrung anbeten müsse. Wie hätte die Einigkeit, die in den politischen Einrichtungen fehlte, in den Sitten vorhanden sein können?
    Die Frau war also, was die Verhältnisse und die Männer aus ihr machten, anstatt zu sein, was das Klima und die gesellschaftlichen Einrichtungen aus ihr hätten machen müssen: sie wurde verkauft, wurde kraft einer väterlichen Gewalt, die auf den Rechtsanschauungen der alten Römer beruhte, gegen ihren Willen verheiratet – und während sie unter der Herrschaft eines ehelichen Despotismus litt, der sie am liebsten völlig von der Welt abgeschlossen hätte, sah sie sich umworben und zu der einzigen Selbsthilfe ermuntert, die ihr möglich war. Und als nun die Männer nicht mehr von innern Kriegen ganz und gar in Anspruch genommen waren, da wurde die Frau sittenlos, gerade wie sie unter all den bürgerlichen Unruhen tugendhaft gewesen war. Ein jeder gebildete Mensch mag dieses Gemälde auf seine Art mit bunten Farben ausschmücken; wir wollen durch die Ereignisse der Weltgeschichte uns belehren lassen und verlangen nicht, von ihnen poetisch unterhalten zu werden.
    Die Revolution hatte zu viel mit Niederreißen und Aufbauen zu tun, hatte zu viele Widersacher oder stand vielleicht den traurigen Zeiten der Regentschaft und Ludwigs des Fünfzehnten noch zu nahe, um beurteilen zu können, welchen Platz die Frau in der gesellschaftlichen Ordnung einnehmen muß.
    Die bedeutenden Männer, die das unsterbliche Denkmal unserer Gesetzbücher errichteten, waren fast lauter alte Rechtsgelehrte, die von der Wichtigkeit der römischen Gesetze durchdrungen waren; außerdem haben sie keine politischen Einrichtungen begründet. Als Söhne der Revolution glaubten sie wie alle Revolutionsmänner, daß das Gesetz einer weise beschränkten Ehescheidung und die Erleichterung eines ehrfurchtsvollen Gehorsams hinreichende Verbesserungen seien. Ihren Zeitgenossen, die noch in den Erinnerungen an die frühere Ordnung der Dinge lebten, schienen diese neuen Einrichtungen von ungeheurer Tragweite zu sein.
    Heutzutage, wo beide Prinzipien durch so viele Ereignisse und durch den Fortschritt der Aufklärung recht abgeschwächt sind, harrt die Frage, welches dieser beiden Prinzipien triumphieren soll, noch in vollem Umfange ihrer Lösung durch weise Gesetzgeber. Die Vergangenheit enthält Lehren, die in der Zukunft ihre Früchte tragen müssen. Sollte die Beredsamkeit der Tatsachen für uns verloren sein?
    Die Prinzipien des Morgenlandes haben in ihrer Weiterentwicklung zur Eunuchen- und Serailwirtschaft geführt; die aus der Mischung der beiden Prinzipien hervorgegangenen Sitten Frankreichs haben unserm Volkskörper die Wunde der Kurtisanenwirtschaft und die noch tiefere Wunde unserer Eheverhältnisse zugefügt; um uns des zutreffenden Ausdrucks eines Zeitgenossen zu bedienen: »Der Orient opfert dem Prinzip der Vaterschaft Männer und die Gerechtigkeit, Frankreich opfert ihm Frauen und die Scham.« Weder der Orient noch Frankreich haben das Ziel erreicht, nach welchem diese Einrichtungen strebten: das Glück. Im Morgenlande wird der Mann so wenig von den Frauen seines Harems geliebt, wie in Frankreich der Ehemann sicher ist, der Vater seiner Kinder zu sein; und die Ehe ist den Preis nicht wert, den sie kostet. Es ist

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