Physiologie der Ehe (German Edition)
des Morgenlandes Gefallen finden konnte, während der andere, die Langue d'oil, das Vaterland jener Überlieferungen war, die der Frau eine Zaubermacht zuschreiben. In der Langue d'oil verlangt die Liebe Geheimnisse; in der Langue d'oc ist Sehen gleichbedeutend mit Lieben.
Als dieser Kampf auf seinem Höhepunkt stand, triumphierte in Frankreich das Christentum; und es wurde von Frauen gepredigt, und es brachte als Gottheit eine Frau, die in den Wäldern der Bretagne, der Vendée und der Ardennen unter dem Namen ›Unsere liebe Frau‹ den Platz mehr als eines Götzenbildes in alten hohlen Druideneichen einnahm. Wenn die Religion Christi, die vor allem andern ein sittliches und politisches Gesetzbuch ist, allen Wesen eine Seele gab, wenn sie den Satz aufstellte, daß vor Gott alle Menschen gleich seien, und wenn sie durch diese Grundsätze die ritterlichen Anschauungen des Nordens kräftigte, so wurde dieser Vorteil dadurch wieder völlig aufgehoben, daß der Papst die Stadt Rom als Erbschaft übernahm und dort seinen beständigen Wohnsitz aufschlug, daß die lateinische Sprache als Weltsprache das ganze mittelalterliche Europa beherrschte, und daß die Mönche, die Schreiber und die Rechtsgelehrten ein Interesse daran hatten, den bei der Plünderung von Amalfi von einem Soldaten gefundenen Gesetzbüchern zum Triumph zu verhelfen.
Die beiden Grundsätze, der Dienstbarkeit der Frau und ihrer Herrschaft, blieben also nebeneinander bestehen, indem sie beide neue Schutz- und Trutzwaffen erhielten.
Das salische Gesetz, das auf einem Rechtsirrtum beruht, brachte die bürgerliche und politische Dienstbarkeit der Frau allgemein zur Geltung, konnte jedoch nicht die Macht zerstören, die den Frauen von den Sitten verliehen wurde, denn die in Europa aufflammende Begeisterung für das Ritterwesen kämpfte auf seiten der Sitten gegen die Gesetze.
Auf diese Weise bildete sich das seltsame Schauspiel, das seitdem unser Nationalcharakter und unsere Gesetzgebung darbieten; denn seit jenen Zeiten, die vom Standpunkt philosophischer Geschichtsbetrachtung den Vorabend der Revolution zu bilden scheinen, ist Frankreich von so vielen innern Erschütterungen heimgesucht worden: das Lehnswesen, die Kreuzzüge, die Reformation, der Kampf zwischen Königtum und Adel, der Despotismus und die Priesterherrschaft haben es mit so engen Banden umschnürt, daß die Frau das Opfer der sonderbaren Widersprüche wurde und blieb, die sich aus den drei Hauptereignissen unserer Geschichte entwickelten. Konnte man sich mit der Frau, mit ihrer Erziehung zu einem Gliede des Staatswesens und mit der Ehe beschäftigen, während die Ausartung des Lehnswesens den Bestand des Thrones in Frage stellte, während die Reformation Thron wie Adel bedrohte, während zwischen Priesterherrschaft und Staatsherrschaft das Volk vergessen wurde? Nach einem Ausspruch der Frau Necker hatten die Frauen während dieser großen Ereignisse die Aufgabe jener Flaumfedern zu übernehmen, mit denen man Porzellangefäße ausfüllt: sie wiegen scheinbar nichts, und doch würde ohne sie alles in Stücke gehen.
Während jener Zeiten bot die verheiratete Frau in Frankreich das Schauspiel einer in Dienstbarkeit schmachtenden Königin, einer Sklavin, die zugleich frei und gefangen ist; die Widersprüche, die sich aus dem Kampfe der beiden Prinzipien ergaben, kamen in der gesellschaftlichen Ordnung zum Ausbruch und bekundeten sich durch Tausende von Absonderlichkeiten. Da die physische Beschaffenheit der Frau damals wenig bekannt war, so wurde aus dem Krankhaften in ihr ein Wunder, eine Hexenkunst oder eine abscheulichste Verruchtheit gemacht. Und während diese Geschöpfe von den Gesetzen wie Verschwender behandelt und unter Vormundschaft gestellt wurden, wurden sie von den Sitten vergöttert. Gleich den Freigelassenen der römischen Kaiser verfügten sie über Kronen, entschieden Schlachten, verteilten Geld und Gut, veranlaßten Staatsstreiche, Verbrechen, Heldentaten der Tugend durch ein bloßes Blinzeln ihrer Augen – und dabei besaßen sie nichts, denn sie besaßen nicht einmal sich selber. Sie waren ebenso glücklich wie unglücklich und ebenso unglücklich wie glücklich. Bewaffnet mit ihrer Schwäche, stark durch ihren Instinkt, traten sie aus dem Kreise heraus, in den die Gesetze sie bannen wollten, und erwiesen sich als übermächtig im Vollbringen von Bösem, ohnmächtig im Vollbringen von Gutem; ihre Tugenden, die sie auf Befehl übten, hatten kein Verdienst, für ihre Laster
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