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Physiologie der Ehe (German Edition)

Physiologie der Ehe (German Edition)

Titel: Physiologie der Ehe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Notwendigkeit war, herrschte auch in den Gesetzen Griechenlands und Ioniens. Auch hier war das Weib auf das marmorne Frauengemach beschränkt. Da das Vaterland nur eine Stadt, ein Gebiet von geringer Ausdehnung umfaßte, so konnten die Kurtisanen, die durch so viele Bande in Zusammenhang mit den Künsten und mit der Religion standen, den ersten Leidenschaften einer nicht gerade zahlreichen Jugend genügen, deren Kräfte zudem durch die anstrengenden Übungen einer zur Kriegskunst jener Heldenzeiten gehörenden Gymnastik in Anspruch genommen wurden.
    Im Beginn seiner Herrscherlaufbahn hatte Rom sich in Griechenland die Grundsätze einer Gesetzgebung geholt, die auch den Anforderungen des italischen Himmels entsprechen konnten. Es drückte auf die Stirn der verheirateten Frau das Siegel einer vollkommenen Dienstbarkeit. Der Senat begriff, wie wichtig in einer Republik die Tugend ist, und es gelang ihm, strenge Sitten aufrechtzuerhalten, indem die väterliche und eheherrliche Gewalt die ausgedehntesten Befugnisse erhielten. In allem bekundete sich die Abhängigkeit der Frau. Die morgenländische Abgeschlossenheit wurde eine Pflicht, ein sittliches Gebot, eine Tugend. Darum wurden der Göttin der Scham Tempel errichtet, wurden der Heiligkeit der Ehe Tempel geweiht; aus dieser Denkungsart stammt das Amt der Zensoren, die Einrichtung der Mitgift, die Luxusgesetze, die Ehrfurcht vor den Matronen und der ganze Aufbau des römischen Rechts. Daher waren drei versuchte oder verübte Vergewaltigungen die Anlässe zu drei Revolutionen; daher war das erste Auftreten von Frauen auf dem politischen Schauplatz ein großes Ereignis, das durch feierliche Erlasse festgelegt wurde! Diese erlauchten Römerinnen, die dazu verdammt waren, nur Gattinnen und Mütter zu sein, verbrachten ihr Leben in Zurückgezogenheit; ihre Beschäftigung bestand darin, der Welt Herrscher zu erziehen. Rom hatte keine Kurtisanen, weil seine Jugend von beständigen Kriegen in Anspruch genommen war. Freilich lösten sich später alle Bande frommer Zucht, aber dies geschah unter der despotischen Herrschaft der Kaiser; übrigens waren selbst damals die auf den alten Sitten beruhenden Vorurteile so lebhaft geblieben, daß Rom niemals Frauen auf einer Bühne sah. Diese Tatsachen sind nicht ohne Bedeutung für unsern schnellen Überblick über die Geschichte der Ehe in Frankreich.
    Nach der Eroberung Galliens zwangen die Römer den Besiegten ihre Gesetze auf; aber diese waren nicht imstande, unserer Vorfahren tiefe Ehrfurcht vor den Frauen und den alten Glauben zu zerstören, der in ihnen unmittelbare Organe der Gottheit sah. Indessen herrschten zuletzt die römischen Gesetze doch ausschließlich nach Verdrängung aller andern in Gallia togata, und seine für die Ehe geltenden Grundsätze drangen mehr oder minder auch in die andern Landstriche ein, in denen das Gewohnheitsrecht in Kraft geblieben war.
    Aber während noch dieser Kampf der Gesetze gegen die Sitten dauerte, drangen die Franken als Eroberer in Gallien ein, dem sie den süßen Namen Frankreich gaben. Diese Krieger des Nordens brachten nach Gallien die Galanterie, die ihrer abendländischen Heimat entsprossen war, wo die beiden Geschlechter untereinander leben, wo unter einem rauhen Klima weder Vielweiberei noch die eifersüchtigen Vorsichtsmaßregeln des Morgenlandes vonnöten sind. Im Gegenteil, bei ihnen erwärmten diese fast göttlich verehrten Geschöpfe das häusliche Leben durch die innige Beredsamkeit ihrer Gefühle. Die schlummernden Sinne verlangten diese Mannigfaltigkeit kräftiger und zarter Mittel, diese Verschiedenheit des Tuns, diese Erregung des Denkens, diese von der Koketterie geschaffenen schimärische Gedanken-Systeme, deren Grundsätze wir zum Teil in diesem ersten Abschnitt unseres Buches ausführlich behandelt haben und die für das gemäßigte Klima Frankreichs geradezu wunderbar passen. Dem Morgenlande also die Leidenschaft und ihre Raserei, die langen braunen Haare und die Harems, die liebeglühenden Gottheiten, der Pomp, die Poesie und die Denkmäler! Dem Abendlande die Freiheit der Frauen, ihre majestätischen blonden Locken, die Galanterie, die Feen, die Zauberinnen, die tiefen Erregungen der Seele, die lieblichen Rührungen der Melancholie und die langdauernde Liebe!
    Diese beiden Systeme, die von den entgegengesetzten Enden der Welt ausgezogen waren, trafen in Frankreich zum Entscheidungskampf zusammen: in Frankreich, wo ein Teil des Landes, die Langue d'oc, an dem Glauben

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