Physiologie der Ehe (German Edition)
an der Zeit, dieser Einrichtung keine Opfer mehr zu bringen, und ein größeres Anlagekapital an Glück der gesellschaftlichen Ordnung anzuvertrauen, indem wir unsere Sitten und Einrichtungen unserm Klima anpassen.
Da die konstitutionelle Regierungsform sich als eine glückliche Mischung zweier extremer politischer Systeme, des Despotismus und der Demokratie, erwiesen hat, so scheint uns dies auf die Notwendigkeit hinzudeuten, auch die beiden in bezug auf die Ehe geltenden Prinzipien zu verschmelzen, die in Frankreich bisher in Widerstreit miteinander lagen. Die Freiheit, die wir kühnlich für die jungen Mädchen gefordert haben, ist das rechte Heilmittel für die Menge von Leiden, deren Quelle wir nachgewiesen haben, indem wir den Widersinn der sklavenmäßigen Erziehung unserer Töchter aufdeckten. Lassen wir der Jugend die Leidenschaften, die Koketterien, die Liebe und ihre Ängste, die Liebe und ihre Wonnen, und das verführerische Gefolge der fränkischen Ritter! In dieser Frühlingszeit des Lebens gibt es keinen Fehltritt, der sich nicht wieder gutmachen ließe; voll Vertrauen, ohne Haß wird Hymen aus den Prüfungen hervorgehen, und die Liebe wird gerechtfertigt werden durch Vergleiche, die zu unserm Besten sind.
Wenn diese Änderung unserer Sitten sich vollzieht, so wird die bösartige Wunde des Dirnenwesens von selber heilen. Besonders zu jener Zeit, wo der Mensch noch die Unschuld und Schüchternheit der Jugend besitzt, schadet es seinem Glücke nichts, wenn er große und wahre Leidenschaften zu bekämpfen hat. Die Seele ist glücklich, wenn sie etwas zu vollbringen hat, sei es, was es sei; wenn sie nur in Bewegung und in Tätigkeit ist, kommt es ihr wenig darauf an, ihre Kräfte gegen sich selber zu kehren. In dieser Beobachtung, die jedermann hat machen können, liegt ein Geheimnis, das für die Gesetzgebung, die Ruhe und das Glück wichtig ist. Ferner haben ja heutzutage die Studien eine solche Ausdehnung gewonnen, daß auch der stürmischste unserer künftigen Mirabeaus seinen Tatendrang an einer Leidenschaft und gleichzeitig an den Wissenschaften austoben kann. Wie viele junge Leute sind dadurch vor einem ausschweifenden Leben bewahrt geblieben, daß sie einen hartnäckigen Kampf mit ihren Studien und zugleich mit den Hindernissen einer ersten, einer reinen Liebe zu bestehen hatten! Und wo ist denn das junge Mädchen, das nicht die köstliche Kinderzeit ihrer Gefühle zu verlängern wünschte, das nicht stolz darauf wäre, von einem Jüngling gekannt zu sein, das nicht den jungen Begierden eines Liebhabers, der ebenso unerfahren ist wie sie selber, die wonnigen Befürchtungen ihrer Schüchternheit, die Scham ihrer geheimen ureigenen Gedanken entgegenzusetzen hätte? Die Galanterie der Franken und ihre Freude werden also das reiche Angebinde der Jugend sein, und dadurch werden sich ganz von selber jene Beziehungen der Seele, des Geistes, des Charakters, der Lebensweise, des Temperaments und der äußeren Glücksumstände einstellen, durch die das glückliche Gleichgewicht geschaffen wird, das zur Glückseligkeit eines Ehepaares erforderlich ist. Dieses System würde eine noch viel breitere und wahrhaftigere Grundlage erhalten, wenn für die Mädchen eine auf vernünftiger Berechnung beruhende Beschränkung ihres Erbrechts eingeführt würde. Oder die Männer sollten sich bei ihrer Auswahl nur zugunsten derer entscheiden, die ihnen durch ihre Tugenden, ihren Charakter oder ihre Geistesgaben Bürgschaften des Glückes bieten würden, und darum sollte man, wie in den Vereinigten Staaten, die Mädchen ohne Mitgift verheiraten.
Dann wird es nichts Bedenkliches haben, das Verfahren der Römer auf die verheirateten Frauen anzuwenden, die als junge Mädchen ausgiebigen Gebrauch von ihrer Freiheit gemacht haben. Indem man ihnen ausschließlich die erste Erziehung der Kinder überträgt, die von allen Pflichten einer Mutter die wichtigste ist; indem sie nur damit beschäftigt sind, jenes ununterbrochene Glück entsprießen zu lassen und zu pflegen, das im vierten Buch der ›Julie‹ so wunderbar geschildert ist, werden die Frauen in ihrem Hause, wie die alten Römerinnen, lebende Abbilder der Vorsehung sein, die überall sich kundgibt und nirgends sich sehen läßt. Dann werden die Gesetze über Untreue außerordentlich strenge sein müssen. Die Strafen werden nicht nur in einer empfindlichen Freiheitsentziehung bestehen, sondern vor allen Dingen auch entehrend sein müssen. In Frankreich haben wegen
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