Physiologie der Ehe (German Edition)
wie wenn man einem Affen ein Rasiermesser in die Hand gäbe. Die erste und wichtigste aller deiner Pflichten besteht daher in einer beständigen Verstellung; hierin versehen es fast alle Ehemänner. Wenn sie bei ihren Frauen ein etwas zu scharf hervortretendes minotaurisches Symptom bemerken, legen die meisten Männer sofort ein beleidigendes Mißtrauen an den Tag. Ihnen läuft die Galle über, und sie lassen dies entweder in ihren Reden oder in ihrem Benehmen merken; die Furcht, die ihre Seele erfüllt, gleicht einer Gasflamme unter einer Glasglocke: sie erleuchtet ihre Gesichtszüge und erklärt ihr Benehmen.
Eine Frau nun, die täglich zwölf Stunden mehr Zeit hat als du, um nachzudenken und zu beobachten, die liest den Verdacht, der auf deiner Stirn geschrieben steht, im selben Augenblick, wo er sich in dir bildet. Diese unbeabsichtigte Beleidigung wird sie niemals verzeihen. Jetzt gibt es kein Heilmittel mehr; jetzt ist alles fertig: gleich am nächsten Tage, wenn es angeht, gehört sie zu den inkonsequenten Frauen.
Du mußt also, indem du die beiderseitige Stellung der kriegführenden Parteien erwägst, zunächst deiner Frau gegenüber dasselbe schrankenlose Vertrauen zur Schau tragen, das du bis dahin ihr wirklich entgegen brachtest. Suchst du sie durch süße Worte zu täuschen, so bist du verloren – sie wird dir nicht glauben; denn sie hat ihre Politik, wie du die deinige hast. Nein, du mußt mit recht schlau gespielter Gutmütigkeit vorgehen, um ihr unbewußt jenes kostbare Gefühl der Sicherheit einzuflößen, das sie veranlaßt, lustig mit den Ohren zu spielen, und dir erlaubt, stets nur zur rechten Zeit Zügel und Sporn zu gebrauchen.
Aber wie können wir wagen, ein Pferd, das aufrichtigste aller Geschöpfe, mit einem Wesen zu vergleichen, das gerade durch die Ausbrüche seiner Gedanken und durch die Leidenschaften seiner Sinne zeitweise vorsichtiger wird als der Servite Fra Paolo, der furchtbarste Ratgeber, den die venezianischen Zehn jemals gehabt haben; das gleisnerischer ist als ein König; gewandter als Ludwig der Elfte; tiefer als Machiavelli; sophistisch wie Hobbes; fein wie Voltaire; geschmeidiger als Mamolins Braut – das auf der ganzen Welt nur gegen dich Mißtrauen hat?
Daher genügt für dich noch nicht diese Verstellung, dank welcher die Triebkräfte deines Verhaltens so unsichtbar werden, wie die des Weltalls – sondern du mußt damit noch eine vollkommene Selbstbeherrschung verbinden. Die so hoch gerühmte diplomatische Unerschütterlichkeit des Herrn de Talleyrand muß die geringste deiner Eigenschaften sein; auch seine auserlesene Höflichkeit, die Anmut seiner Manieren muß in jeder deiner Bemerkungen zutage treten. Der Professor verbietet dir hier ganz ausdrücklich den Gebrauch der Reitpeitsche, wenn du es dahin bringen willst, deine hübsche andalusische Stute lenksam zu machen!
LX. Daß ein Mann seine Geliebte schlägt – das ist eine Selbstverstümmelung; aber daß er seine Frau schlägt! ... das ist ein Selbstmord!
Kann man sich denn eine Regierung ohne Polizei denken, ein Handeln ohne Kraft, eine Gewalt ohne Waffe ...? Dieses Problem werden wir in unsern künftigen Betrachtungen zu lösen suchen. Aber es liegen uns noch zwei Beobachtungen vor, die wir dir zunächst unterbreiten müssen. Sie werden uns zwei andere Theorien an die Hand geben, die sich auf die Anwendung aller jener mechanischen Mittel beziehen, deren Anwendung wir dir vorzuschlagen gedenken. Ein Beispiel aus dem Leben wird einige Frische in diese trockenen und dürren Erörterungen hineinbringen: wir verlassen gleichsam das Buch und begeben uns in die belebte Natur hinaus.
Im Jahre 1822 ging ich an einem schönen Januarmorgen die Pariser Boulevards entlang; ich spazierte von der friedlichen Gegend des Marais bis zum eleganten Gebiet der Chaussée d'Antin und beobachtete zum erstenmal nicht ohne eine gewisse philosophische Freude jene eigentümlichen Abstufungen in der Physiognomie und jene Verschiedenheiten in der Toilette, die aus jedem Abschnitte des Boulevards von der Rue du Pas de la Mule bis zur Madeleine eine Welt für sich und aus dieser ganzen pariserischen Zone eine reiche Musterauswahl aller möglichen Sitten machen. Ich hatte noch keine Ahnung vom Leben und dachte nicht daran, daß ich eines Tages so vermessen sein würde, mich zum Gesetzgeber der Ehe aufzuwerfen, sondern ich ging ganz einfach zum Frühstück zu einem Freunde, der sich, vielleicht ein wenig frühzeitig, eine Frau und zwei
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