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Physiologie der Ehe (German Edition)

Physiologie der Ehe (German Edition)

Titel: Physiologie der Ehe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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beschäftigt. Wir sprachen viel über die Frauen. Die Scherze unseres Wirtes trugen das Gepräge des feinsten Zartgefühls. Ich selber sah nichts mehr von den weißen Haaren auf seinem alten Kopfe; denn dieser glänzte von jener Jugend des Herzens und des Geistes, die die Runzeln verwischt und den Schnee des Lebenswinters schmelzen läßt. Am andern Tage reiste der Neffe ab. Selbst nach dem Tode des Herrn von Nocé und in vertraulichen Plauderstündchen, in denen die Frauen nicht immer so sehr auf der Hut sind, ist es mir niemals gelungen, zu erfahren, welche Ungezogenheit der Vicomte damals gegen seine Tante begangen hatte. Diese Ungezogenheit mußte recht schlimm gewesen sein, denn seit jener Zeit hat Frau von Nocé niemals ihren Neffen wiedersehen wollen; sie kann selbst heute noch nicht seinen Namen nennen hören, ohne unwillkürlich ein wenig ihre Brauen zusammenzuziehen. Ich erriet damals nicht sofort den Zweck jener Jagdpartie des Grafen von Nocé; später aber schien mir, er habe damit ein recht gewagtes Spiel gespielt.
    Wenn es dir jedoch gelingt, einen so großen Sieg zu erfechten wie Herr von Nocé, so vergiß nicht, das System der Brennkegel mit ganz besonderer Behutsamkeit in Anwendung zu bringen; und bilde dir nicht ein, man könne ähnliche Gewaltstreiche ungestraft wiederholen. Wenn du mit deinen Talenten zu verschwenderisch umgingest, würdest du zuletzt deiner Frau gegenüber Bankrott machen; denn sie würde von dir immer das Doppelte von dem fordern, was du ihr gäbest, und es würde ein Augenblick kommen, wo du auf dem Trockenen säßest. Die menschliche Seele ist in ihren Wünschen einer Art arithmetischer Progression unterworfen, deren Ziel ebenso unbekannt ist wie ihr Ursprung. Wie der Opiumesser stets die Dosis verdoppeln muß, um das gleiche Resultat zu erhalten, so verlangt auch unser ebenso gebieterischer wie schwacher Geist, daß Gefühle, Gedanken und Verhältnisse stets wachsen. Daraus entspringt die Notwendigkeit, bei einem dramatischen Werk das Interesse geschickt auf die einzelnen Szenen zu verteilen, und ebenso muß man in der Medizin die Heilmittel stufenweise wirken lassen. Du siehst also: wenn du dich jemals an die Anwendung dieser Mittel heranwagst, so mußt du dein kühnes Vorgehen nach recht vielen Umständen regeln, und der Erfolg wird stets davon abhängen, welche Triebfeder du zu benutzen weißt.
    Hast du Einfluß, mächtige Freunde? Bekleidest du eine wichtige Stellung? Ein letztes Mittel wird das Übel an der Wurzel anfassen. Hast du nicht etwa die Macht, deiner Frau ihren Liebhaber durch eine Beförderung wegzunehmen, die ihn nach einem andern Ort bringt, oder, wenn er Soldat ist, ihn einfach nach einer andern Garnison versetzen zu lassen? Den Briefwechsel unterdrückst du; die Mittel dazu werden wir später angeben. Nun: sublata causa tollitur effectus. Diese lateinischen Worte könnte man frei übersetzen: Keine Wirkung ohne Ursache; kein Geld, kein Schweizer.
    Trotzdem könnte, wie du wohl begreifst, deine Frau sich leicht einen andern Liebhaber wählen; aber nachdem du zunächst diese vorläufigen Mittel angewandt hast, wirst du stets einen Brennkegel zur Hand haben; dadurch gewinnst du Zeit und kannst versuchen, dich durch einige neue Listen aus der Klemme zu ziehen.
    Gut wäre es, wenn du das System der Brennkegel mit den mimischen Kunststücken Carlins verbinden könntest. Der unsterbliche Carlin, von der Italienischen Komödie, hielt eine ganze Gesellschaft in Aufmerksamkeit und heiterer Stimmung, indem er stundenlang mit vollendeter pantomimischer Kunst und in tausendfach verschiedener Betonung immer nur dieselben Worte sprach: »Der König sagte zur Königin. – Die Königin sagte zum König.« Mache es wie Carlin. Richte es so ein, daß du fortwährend deiner Frau Schach bietest, damit du nicht selber matt wirst. Mache dein Examen in der Kunst des Versprechens bei den konstitutionellen Ministern. Gewöhne dich daran, im rechten Augenblick den Polichinell zu zeigen, womit du ein Kind dazu verlockst, daß es hinter dir herläuft, ohne daß es merkt, wie weit es schon gelaufen ist. Wir alle sind Kinder, und die Frauen sind durch ihre Neugier sehr dazu geneigt, ihre Zeit zu verlieren, indem sie hinter einem Irrwisch herlaufen. Ist nicht als leuchtende und nur zu bald erlöschende Flamme die Phantasie stets da, um dir zu helfen? Endlich studiere die glückbringende Kunst, bei ihr zu sein und nicht bei ihr zu sein, den Augenblick zu erhaschen, wo du bei ihr etwas

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