Picknick auf dem Eis (German Edition)
flüsterte sie. »Sonja schläft schon, sie ist vor dem Fernseher eingeschlafen.«
Sie gingen durchs Wohnzimmer, in dem in der Ecke eine matte Stehlampe brannte.
In der Küche roch es nach Knoblauch und Bratkartoffeln. Mitten auf dem Tisch stand eine zugedeckte Pfanne.
»Ich habe eine Flasche Wodka gefunden«, sagte sie vorsichtig und wies auf den Hängeschrank. »Soll ich sie holen?«
Viktor nickte. Nina stellte die Flasche und zwei Gläschen auf den Tisch, verteilte die Kartoffeln mit dem Fleisch auf die Teller und schenkte beiden ein.
Viktor setzte sich auf seinen Platz, Nina ihm gegenüber.
»Wie war die Beerdigung?« Sie nahm das Glas in die Hand. Viktor zuckte die Achseln.
»Ganz still. Außer mir und Mischa war ja niemand da.«
»Nun, auf daß er in Frieden ruhe!« Sie hob das Glas hoch, bevor sie es zu den Lippen führte.
Er nahm auch einen Schluck und zerteilte mit der Gabel ein Stück Fleisch. Er sah Nina an. Auf ihren Wangen erschienen rote Flecken, die aber ihrem runden Gesicht nur noch mehr Charme verliehen.
Viktor fiel plötzlich auf, daß er eigentlich nichts von ihr wußte: Woher kam sie, wer war sie? Nun ja, Sergejs Verwandte, aber über Sergej wußte er auch wenig, obwohl sie so schnell und leicht Freunde geworden waren. Es hatte ihm genügt, von der ›Herkunft‹ des jüdischen Familiennamens zu erfahren, um ihn zu mögen. Die Geschichte mit dem Namen hatte Sergej gleichsam auf einen unsichtbaren Sockel gestellt, auf eine Ebene, wo die Bewunderung für einen Menschen ausreicht, um ihm voll zu vertrauen.
Viktor füllte wieder die Gläser und hob seines als erster.
»Hast du ihn gut gekannt?« fragte Nina.
Viktor trank zuerst aus.
»Ich glaube, ganz gut…«, antwortete er.
»Was hat er gemacht?«
»Er hat als Wissenschaftler im Zoo gearbeitet…«
Nina nickte, aber ihrem Gesicht war abzulesen, daß damit ihr Interesse an dem Verstorbenen erschöpft war.
Sie aßen und tranken. Wie es sich bei einer Totenfeier gehörte, tranken sie, ohne anzustoßen. Dann stellte Nina die schmutzigen Teller in den Abwasch und setzte Teewasser auf. Bis der Teekessel kochte, sah sie aus dem Fenster und verzog das Gesicht, als hätte sie Schmerzen.
»Was hast du?« fragte Viktor.
»Ich kann diese Stadt nicht ausstehen. Diese vielen fremden Leute… diese Entfernungen…«
»Warum?« wunderte sich Viktor.
Nina steckte ihre Hände in die Jeanstaschen und zuckte die Achseln. »Meine Mutter war so blöd, sie hat alles stehen- und liegenlassen und ist hierher gezogen… Das hätte ich nie getan! Das beste ist ein eigenes kleines Haus, ein Garten, alles gehört dir…«
Viktor seufzte. Er war in der Stadt geboren und hegte keine besonderen Gefühle für das Dorf.
Der Teekessel pfiff.
Sie setzten sich wieder gegenüber an den Tisch. Die Stille trennte sie. Jeder hing seinen eigenen Gedanken nach.
Viktor wurde müde. Er stand auf und wunderte sich, wie schwer seine Füße waren.
»Ich leg mich hin…«, sagte er.
»Geh nur, ich wasche noch ab.«
Im Schlafzimmer kroch er unter die Decke und schlief sofort ein. In der Nacht wachte er davon auf, daß ihm heiß war, und beim Aufwachen spürte er eine fremde Wärme, die Wärme der neben ihm liegenden Nina. Sie schlief mit dem Rücken zu ihm.
Viktor legte seine Hand auf ihre Schulter und schlief mit dem Gefühl einer tiefen Befriedigung wieder ein, als wären seine Zweifel wie weggewischt, als habe er mit seiner Hand auf ihrer Schulter einen geschlossenen Kreis lebendiger Wärme zwischen sich und Nina geschaffen. Diese Wärme störte jetzt nicht mehr seinen Schlaf, sie war sein kostbares Eigentum.
52
Und wieder begann ein neuer Tag. Viktor wachte mit schwerem Kopf auf. Nina lag nicht mehr neben ihm. Es war halb neun.
An der schlafenden Sonja vorbei ging er in die Küche. Aus dem Bad war ein Plätschern zu hören. Viktor blieb stehen und horchte.
Dann beschloß er, sich einen Kaffee zu kochen, ging zum Herd und entdeckte plötzlich aus dem Augenwinkel einen Umschlag auf dem Tisch. Der Umschlag war zugeklebt, aber ohne Absender. Viktor riß ihn auf und zog ein Blatt Papier und achthundert Dollar heraus.
»Hiermit zahle ich meine Schulden zurück. Es geht bergauf. Ich komme bald wieder. Igor.«
Viktor ließ das Blatt auf den Tisch fallen, behielt aber die Dollars in der Hand.
Er guckte ins Bad, Nina stand unter der Dusche. Das Wasser lief an ihrem Körper hinunter und unterstrich seine Linien. Sie wurde nicht verlegen, sondern sah den auf der
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