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Picknick auf dem Eis (German Edition)

Picknick auf dem Eis (German Edition)

Titel: Picknick auf dem Eis (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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Arbeitszimmer, das mit Bücherregalen und Bücherschränken vollgestellt war, ging zum Schreibtisch, knipste die alte Tischlampe auf einem Marmorsockel an und setzte sich auf den schwarzen Ledersessel vor dem Schreibtisch.
    Auf dem Tisch lagen Hefte, Notizbücher. Neben der Lampe bemerkte Viktor ein dickes Tagebuch. Er nahm es in die Hand, blätterte darin. Eine eilige, chaotische Handschrift, überall lagen Lesezeichen. Eins von ihnen öffnete gleichsam von selber das Tagebuch, es war ein Zeitungsausschnitt. Viktor hielt ihn nah an die Lampe. Da stand, daß Großbritannien der Ukraine eine Forschungsstation in der Antarktis gespendet hatte. Am Ende der Information wandte sich der Autor mit der Bitte um Hilfe an potenzielle Sponsoren, da man ohne Gelder keine ukrainischen Forscher in die Antarktis schicken könne. Dann war das Telefon und das Bankkonto für die Sponsoren angegeben.
    ›Wozu braucht die Ukraine eine Forschungsstation in der Antarktis?‹ dachte Viktor und zuckte mit den Achseln.
    Auf dieser Seite entdeckte er auch eine Quittung. Er guckte sie sich näher an und war baß vor Erstaunen. Pidpalyj hatte auf dieses Antarktis-Konto fünf Millionen Tscherwonzen überwiesen – sicher seine gesamten Ersparnisse…
    Viktor legte die Quittung und den Zeitungsausschnitt auf den Tisch und versuchte, die Notizen des Alten zu lesen, aber er konnte nur einzelne Wörter entziffern. Pidpalyjs Handschrift kodierte sozusagen seine Gedanken und machte sie Fremden unzugänglich.
    Wieder verspürte Viktor eine Unruhe, seine Fingerspitzen juckten, als habe er etwas Unverständliches, Unerklärliches berührt.
    Viktor fiel sein Versprechen wieder ein. Er erinnerte sich, aber er wollte jetzt nicht daran denken. Und obwohl er hierher gekommen war, ohne sich den Grund bewußt zu machen, hatte ihn genau dieses Versprechen in Pidpalyjs Wohnung gelockt. Die kalten Schlüssel, die er in der Tasche vor dem Frost geschützt hatte, hatten ihn wie ein Kompaß hierher geleitet.
    So saß er zwischen all den Sachen und Papieren, die niemandem mehr gehörten, inmitten einer ganzen Welt, die ohne ihren Herrn und Schöpfer übriggeblieben war. Der Alte hatte nicht gewollt, daß fremde Leute diese Welt berührten, er wollte nicht, daß jemand die Zerstörung dieser kleinen gemütlichen Welt sah, deren Kalender sich gleichsam um dreißig, vierzig Jahre verspätet hatte.
    Viktor seufzte tief. Plötzlich war ihm, als müsse er ein Andenken mitnehmen, etwas aus der Kommode ziehen, etwas suchen, was er nach Hause nehmen, sozusagen retten könnte. Aber die Komplexität und Unbeweglichkeit dieser kleinen Welt hielt ihn davon ab. So saß er benommen am Schreibtisch und starrte auf den Zeitungsabschnitt, auf die Quittung, auf das Tagebuch und die anderen daneben liegenden Hefte.
    Der Straßenlärm war verstummt, und die plötzliche Stille auf der Straße, die sich mit der Stille in der Wohnung vereinte, schreckte ihn auf. Er steckte den Zeitungsausschnitt in seine Jackentasche.
    Noch einmal ließ er seinen Blick über die Wände gleiten, berührte aber nichts mehr. Auf dem Gasofen in der Küche fand er Streichhölzer, im Wandschrank auf dem Flur eine Flasche Aceton und kehrte in das Arbeitszimmer zurück. Als er die Bücher auf den unteren Regalen und einen Packen alter Zeitungen unter dem Schreibtisch mit Aceton bespritzte, bemühte er sich, an nichts zu denken. Dann brachte er die Hälfte der Zeitungen ins Zimmer und legte sie unter den Eßtisch. Dorthin warf er auch ein weißes Tischtuch voller Teeflecken. Dann zündete er mit den brennenden Zeitungen alles an, was entflammbar schien. Das Feuer knisterte bereits im Arbeitszimmer und im Wohnzimmer, war aber noch zu schwach, um sich mit seiner ganzen Hitze auf die zum Tode verurteilte Welt zu stürzen. In der Kommode fand er einige Laken, Kissenbezüge und Handtücher und warf alles, wie auch Pidpalyjs im Flur hängenden Mantel, ins Feuer.
    Schwarze Staubteile flogen herum. Die Luft erwärmte sich allmählich und kreiste langsam im Zimmer, füllte es mit Rauch und Aschefunken. Viktor lief auf den Flur.
    Das Prasseln des Feuers wurde immer lauter. Die Flammen schlugen schon durch die Tischdecke und züngelten an den Tischbeinen empor.
    Viktor erfühlte in seiner Tasche Pidpalyjs Wohnungsschlüssel, ging zur Tür, kehrte aber schnell noch einmal zurück, um das Licht im Zimmer auszumachen. Das Feuer leuchtete blutrot, wurde schöner und schrecklicher.
    Als er im Treppenhaus war, schloß er die Tür

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