Picknick mit Bären
Mitchell in North Carolina und den 120 Meter niedrigeren Mount Washington in New Hampshire , miteinander verbinden sollte. Tatsächlich geschah in den nächsten fünf Jahren erst einmal gar nichts, hauptsächlich deswegen, weil MacKaye damit beschäftigt war, seine Pläne weiter auszuarbeiten und zu verfeinern, bis er selbst und seine Vision den Kontakt zur Realität verloren hatten.
Erst als 1930 der junge Seerechtler und begeisterte Wanderer Myron Avery aus Washington die Weiterentwicklung des Projekts in die Hand nahm, konnte die Arbeit richtig beginnen und machte plötzlich rasche Fortschritte. Avery muß offenbar kein sonderlich liebenswerter Mensch gewesen sein. Er hinterließ zwischen Maine und Georgia zwei Spuren, wie sich ein Zeitge-nosse ausdrückte. »Die eine war eine Spur der Verwüstung, verletzter Gefühle und gekränkter Eitelkeiten. Die andere war der Appalachian Trail.« Avery besaß keine Geduld im Umgang mit MacKaye und seinen »quasi mystischen Sprüchen«; jedenfalls kamen die beiden nicht miteinander klar. 1935 hatten sie einen erbitterten Streit über die Erschließung des Shenandoah National Parks – Avery war bereit, den Bau einer landschaftlich schönen Schnellstraße durch die Berge zuzulassen, MacKaye empfand das als Verrat grundlegender Prinzipien –, danach wechselten die beiden kein Wort mehr miteinander.
Es ist MacKaye, dem das Verdienst angerechnet wird, den Trail initiiert zu haben, aber eigentlich liegt das nur daran, daß er das biblische Alter von 96 Jahren erreichte und schlohweißes Haar auf seinem Kopf hatte. Außerdem konnte man sich immer auf ihn verlassen, wenn aus Anlaß irgendwelcher Feierlichkeiten ein paar Worte gesagt werden mußten. Avery dagegen starb 1952, ein Vierteljahrhundert vor MacKaye, als der Weg noch kaum bekannt war. Aber eigentlich war er Averys Werk. Er hatte Karten erstellt, er hatte die Vereine bedrängt, Gruppen freiwilliger Helfer zur Verfügung zu stellen, und er hatte persönlich den Bau von Hunderten Kilometern der Wanderstrecke überwacht. Er sorgte für eine Verlängerung der ursprünglich geplanten Strecke von 2.000 auf weit über 3.000 Kilometer und war vor Beendigung des Baus jeden Kilometer selbst abgewandert. In nicht einmal sieben Jahren gelang es ihm, mit Hilfe ehrenamtlicher Arbeit einen 3.000 Kilometer langen Wanderweg durch die bergige Wildnis anzulegen. Ganze Armeen haben weniger zustande gebracht.
Mit der Rodung eines vier Kilometer langen Waldstreifens in einem entlegenen Teil von Maine am 14. August 1937 wurde der Appalachian Trail fertiggestellt. Erstaunlicherweise erregte der Bau des längsten Fußweges der Welt keine große Aufmerksamkeit. Avery war kein Mensch, der die Öffentlichkeit liebte, und MacKaye hatte sich zu dem Zeitpunkt bereits zurückgezogen. Keine Zeitung meldete das Ende der Bauarbeiten, und es gab keine offizielle Einweihungsfeier aus diesem Anlaß.
Der Weg besitzt keine historischen Wurzeln, er folgt keinem Indianerpfad oder einer Postroute aus der Kolonialzeit. Er bietet auch nicht die schönsten Ausblicke, die höchsten Gipfel oder die auffälligsten landschaftlichen Wahrzeichen. Schließlich bringt er den Wanderer nicht einmal in die Nähe von Mount Mitchell, schließt dafür aber Mount Washington mit ein und führt sogar noch 560 Kilometer weiter bis zum Mount Katahdin in Maine. (Es war vor allem Avery, der darauf bestand. Er war in Maine aufgewachsen und hatte dort seine prägenden »Wanderjahre« verbracht.) Im wesentlichen verläuft der Trail dort, wo sich am leichtesten Zugang schaffen ließ, hauptsächlich in den Höhenlagen, über einsame Pässe und durch verlassene Schluchten, die kein Mensch je vorher benutzt oder sich für sie begeistert hatte, die häufig nicht mal einen Namen besaßen. Er verfehlt das geographische südliche Ende der Bergkette der Appalachen um 240, das nördliche um fast 1.125 Kilometer. Die Workcamps und Blockhütten, die Schulen und Studienzentren wurden nie gebaut.
Dennoch ist sehr viel von dem ursprünglichen Reiz, der von MacKayes Vision ausging, erhalten geblieben. Die gesamte Wegstrecke von 3.380 Kilometer, einschließlich der Seitenpfade, Fußgängerbrücken, Hinweisschilder, Markierungen und Schutzhütten, werden von ehrenamtlichen Helfern gewartet – es heißt sogar, der AT sei die größte ehrenamtliche Einrichtung der Welt. Und bislang hat er sich glücklicherweise jeder Kommerzialisierung widersetzt. Die Appalachian Trail Conference stellte erst 1968 ihren
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