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Pilger Des Hasses

Pilger Des Hasses

Titel: Pilger Des Hasses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
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Abendessen war vorbei, und im kühlen, satten Dahindämmern vor der Komplet war es recht ruhig im großen Hof.
    Bruder Cadfael hatte den Kapitelsaal schon vor dem Ende der Bibellesung verlassen, denn er hatte im Herbarium noch einige Dinge zu erledigen. Er wollte sich gerade zum Garten wenden, als er den jungen Mann oben auf der Treppe stehen sah, tief atmend und mit offensichtlichem Wohlbehagen. Aus irgendeinem Grund wirkte Matthew allein größer und jünger; sein Gesicht war im weichen Abendlicht verschlossen, aber ruhig. Als er die Treppe herunterkam, suchte Cadfael instinktiv nach der zweiten Gestalt, die ihm dichtauf hätte folgen müssen, wenn sie nicht gerade einen Schritt vor ihm ging, aber kein Ciaran tauchte auf. Nun, er war gedrängt worden, sich auszuruhen, und hatte wahrscheinlich bereitwillig gehorcht, aber Matthew hatte ihn, ob Tag, ob Nacht, ob im Ruhen oder auf der Wanderung, noch nie allein gelassen. Nicht einmal, um bei Melangell zu sein, außer mit verhangenen Augen und gegen seinen Willen.
    Die Menschen, dachte Cadfael, als er gemächlich seinen Weg fortsetzte, sind ein ewiges Geheimnis, und ich bin ewig neugierig. Zweifellos eine Sünde, die gebeichtet werden mußte, die aber eine Buße wert war. Solange ein Mensch auf seine Mitmenschen neugierig ist, hält ihn allein schon dieser Appetit am Leben. Warum tun die Menschen die Dinge, die sie tun?
    Warum, wenn man doch weiß, daß man krank ist und sterben muß und nur den Wunsch hat, vor dem Ende einen sicheren Hafen anzulaufen, verurteilt man sich selbst zu einer langen, barfüßigen Reise und belastet sich mit einem Gewicht um den Hals? Wie kann man damit vor Gott besser dastehen als einer, der unterwegs einem Krüppel die Hand reicht, der nicht durch eine Marotte, sondern von Geburt an behindert ist wie der junge Rhun? Und warum verschwendet einer seine Jugend und seine Kraft darauf, einem anderen Schritt um Schritt durchs Land zu folgen, und warum duldet der andere diese Gesellschaft, wo er doch besser seinen Frieden finden und sich anständig von seinen Freunden verabschieden sollte, statt ihnen die eigene Last aufzubürden?
    Als er um die Ecke der Eibenhecke bog und den Rosengarten betrat, blieb er überrascht stehen. Jenseits der Blumenbeete saß eine Frau im Gras und blickte über die abschüssigen Erbsenfelder zum flachen, silbernen Wasser des Meole-Bachs hinunter. Sie saß einsam und reglos, hatte die Knie zum Kinn hochgezogen und die Arme darumgelegt. Da Tante Alice Weaver gewiß mit einem halben Dutzend würdevoller gleichaltriger Matronen in ein Gespräch vertieft war, und Rhun schon schlief, hatte Melangell sich allein fortgestohlen, um im stillen Garten zu sitzen und ihren traurigen Träumen und unbezähmbaren Hoffnungen nachzuhängen. Sie war ein kleiner, dunkler Umriß, der vor dem hellen Westhimmel einen goldenen Heiligenschein bekam. Nach diesem Himmel zu urteilen, würde der nächste Tag, St. Winifreds Tag, schön und wolkenlos werden.
    Die ganze Weite des Rosengartens lag zwischen ihnen, und sie hörte ihn nicht, als er über den Grasweg zu seiner Hütte ging, um sich den letzten Pflichten des Tages zu widmen. Er mußte alles ordentlich verwahren, die Stöpsel seiner Flaschen und Gefäße prüfen und sich vergewissern, ob die Kohlenpfanne, die er tagsüber benutzt hatte, gelöscht und abgekühlt war. Bruder Oswin, sein junger begeisterter und ergebener Helfer, neigte manchmal dazu, solche Kleinigkeiten zu übersehen, wenn er auch lange nicht mehr so viel zerbrach wie früher. Cadfael sah sich gründlich um und fand alles in bester Ordnung. Er hatte es nicht eilig; bis zur Komplet war noch etwas Zeit, und er konnte sich in der düsteren, nach Holz duftenden Hütte niedersetzen und nachdenken. Es war die Zeit für andere, einander zu verlieren oder zu finden und diese letzten Augenblicke des Tages zu nutzen oder zu verschwenden. Walter Bagot, Handschuhmacher; John Shure, Schneider; William Haies, Hufschmied; sie wollten sich heute abend zum Würfelspiel treffen und würden Hugh in die Falle laufen. Zeit für den zwielichtigen Simeon Poer, der gleichen Falle auszuweichen oder hineinzutappen oder ganz eigenen nächtlichen Geschäften nachzugehen. Cadfael hatte zwei von dreien zum Tor hinausgehen gesehen, und der dritte war etwas später gefolgt. Er war sicher, daß der selbsternannte Händler aus Guildford ihnen kurz darauf gefolgt war. Zeit auch für den seltsamen einsamen jungen Mann, der sich irgendwie von seinen Ketten

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