Pilger Des Hasses
gedacht, was Cadfael ihm anvertraut hatte, doch die Erwähnung der Heiligen ließ ihn wieder an die Geschichte seines Freundes denken. »Ich war damals nicht in Shrewsbury«, sagte er und vermied dabei jede Bewertung. »Ich stellte König Stephen mein Landgut als Unterstützung zur Verfügung. Mein Land liegt nördlich der Grafschaft.«
Sie hatten den Hügelkamm erreicht und wandten sich in Richtung Sankt Marien. Das große Hoftor neben Hughs Haus stand weit offen, und an den Pfählen waren Fackeln befestigt.
Man erwartete sie; also war seine Nachricht an Aline getreulich übermittelt worden, und sie war bereit, sie mit der gebührenden Feierlichkeit zu empfangen. Die Schlafkammer war gerichtet, das Mahl zubereitet. Die Ordnung des Lebens mußte sich zu allen Zeiten der Ankunft eines Gastes beugen, wie es die Gastfreundschaft gebot.
Aline kam ihnen bis zur Tür entgegen und öffnete sie weit, um sie einzulassen. Sie traten in den Flur und in eine Lichtflut von Fackeln an den Wänden und Kerzen auf dem Tisch, und sie sahen einander unwillkürlich an, um sich ausgiebig zu betrachten. Ihre Blicke wurden intensiver, je länger sie sich ansahen. Es war nur noch die Frage, wem das Wiedererkennen zuerst dämmerte. Erinnerungen regten sich und schlichen fast verstohlen ins Bewußtsein. Aline stand lächelnd und verwundert dabei. Sie betrachtete schweigend erst den einen, dann den anderen und wartete darauf, daß sie sich rührten und das Wort ergriffen.
»Ich kenne Euch doch!« sagte Hugh. »Nun, da ich Euch richtig sehe, erkenne ich Euch.«
»Wir sind uns schon einmal begegnet«, stimmte der Gast zu.
»Ich war erst einmal in dieser Grafschaft, aber trotzdem...«
»Ich mußte Euch erst im Licht sehen«, sagte Hugh, »denn Eure Stimme habe ich nur ein einziges Mal gehört, und auch da spracht Ihr nur wenige Worte. Ich bezweifle, daß Ihr Euch daran erinnert, aber ich weiß den Wortlaut noch. Es waren nur fünf Worte: ›Jetzt kämpft mit einem Mann!‹ Und Euer richtiger Name wurde nie genannt; für mich wart Ihr nur Robert, der Sohn des Wäldlers, der Yves Hugonin aus der Räuberburg im Clee-Wald befreit hat. Ich glaube, Ihr habt ihn und seine Schwester mit Euch genommen.«
»Und Ihr seid der Offizier, der mir mit seiner Belagerung die Deckung gab, die ich brauchte«, rief der Gast strahlend.
»Vergebt mir, daß ich mich damals vor Euch versteckte, aber ich hatte in Eurem Gebiet keine Garantie für freies Geleit. Wie froh bin ich, Euch jetzt in aller Offenheit wiederzusehen und nicht fliehen zu müssen.«
»Und Ihr braucht auch nicht mehr Robert, der Sohn des Wäldlers, zu sein«, sagte Hugh mit freudigem Lächeln.
»Meinen Namen wißt ihr schon, und damit biete ich Euch die Gastfreundschaft meines Hauses an. Darf ich nun Euren Namen erfahren?«
»In Antiochien, wo ich geboren bin«, erwiderte der Gast, »nannte man mich Daoud. Doch mein Vater war ein Engländer, der zur Armee von Robert von der Normandie gehörte. Ich wurde christlich getauft und nahm den Namen des Priesters an, der mein Pate war. Jetzt trage ich den Namen Olivier de Bretagne.«
Sie saßen bis spät in die Nacht beisammen und betrachteten nun, nach anderthalb Jahren, verwundert und begierig ihre Gesichter. Doch zuerst sprachen sie, wie es sich gehörte, über Oliviers Auftrag.
»Man hat mich geschickt«, erklärte er, »um die Sheriffs aller Grafschaften aufzufordern, sich zu überlegen, ob sie nicht, egal, wem sie die Treue geschworen haben, bereit seien, den Frieden anzunehmen, den die Kaiserin Maud ihnen angeboten hat, und ihr den Treueid zu schwören. Dies ist die Botschaft des Bischofs und des Konzils: dieses Land ist schon viel zu lange zwischen den Parteien zerrissen und hat durch die Feindseligkeit großen Schaden gelitten. An dieser Stelle möchte ich persönlich einfügen, daß ich keiner Partei die Schuld gebe, denn beider Ansprüche sind berechtigt, und beide trifft die gleiche Schuld, da sie es nicht vermochten, zu einer Übereinkunft zu kommen und die Not zu beenden. Die Würfel hätten in Lincoln auch anders fallen können, aber sie fielen, wie sie fielen, und nun hat England einen gefangenen König und eine gewählte Königin, deren Stern aufsteigt. Ist es nicht Zeit zum Innehalten? Um des Friedens und der Ordnung willen muß das Reich wieder von einer ordentlichen Regierung beherrscht werden, die fähig ist, das Unrecht und die Tyrannei niederzuschlagen, die sich, wie Ihr wißt, überall dort ausgebreitet haben, wo das Gesetz
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