Pilger Des Hasses
hatte nur einen oder zwei seiner eigenen Männer dabei, die nicht bewaffnet waren. Sie fielen zu fünft oder sechst über den Schreiber her, es war eine Schandtat, die im Schutze der Dunkelheit verübt wurde. Der Mörder konnte entkommen und wurde nie gefaßt. Rainalds Frau... Juliana... Ich lernte sie erst kennen, als wir mit unserem Herrn nach Winchester kamen; Rainalds Landsitz ist ganz in der Nähe. Ich habe sie«, sagte Olivier sehr ernst, »sehr schätzen gelernt. Sie war ihrem Herrn ebenbürtig, und man kann von einer Frau nichts Besseres sagen.«
»Gibt es einen Erben?« fragte Hugh. »Einen erwachsenen Mann oder einen Jungen?«
»Nein, sie hatten keine Kinder. Rainald war beinahe fünfzig, und sie kann nicht viel jünger sein. Schön ist sie«, ergänzte er nachdenklich, als wollte er nicht preisen, sondern nur erklären.
»Nun ist sie verwitwet und muß hart darum kämpfen, nicht einfach wieder verheiratet zu werden - nach Rainald will sie keinen anderen mehr. Sie hat eigene Landgüter, um die sie sich kümmern muß. Die beiden hatten an die Erbschaftsfrage gedacht, und deshalb hatten sie den jungen Luc Meverel bei sich aufgenommen. Das war vor einem Jahr. Er ist ein entfernter Verwandter der Frau Juliana, etwa vierundzwanzig oder fünfundzwanzig Jahre alt und ohne Landbesitz. Sie wollten ihn als Erben einsetzen.«
Er schwieg eine Weile und blickte stirnrunzelnd in die flackernden Kerzen, das Kinn in die Hand gestützt. Hugh musterte ihn und wartete. Sein Gesicht war einen zweiten Blick wert: anmutig geschwungene Knochen, olivenfarbene Haut, die Züge von einer grimmigen Schönheit, obwohl die goldenen Falkenaugen so verhangen waren. Das üppige blauschwarze Haar, das sein Gesicht gleich gefalteten Schwingen umschloß, reflektierte die Kerzenflammen mit stumpfen bläulichen Blitzen.
Daoud aus Antiochien, Sohn eines englischen Kreuzfahrers aus dem Gefolge von Robert von der Normandie, war in den Diensten eines angevinischen Barons durch die halbe Welt gereist und erschien hier fast normannischer als die Normannen... dann ist die Welt doch nicht so groß, dachte Hugh, denn ein Mann, der Mut genug hat, kann überall herumkommen.
»Ich war dreimal in ihrem Haus«, fuhr Olivier fort, »aber ich habe Luc Meverel nie gesehen. Alles, was ich über ihn weiß, habe ich von anderen erfahren, aber bei diesen anderen achte ich genau darauf, wem ich Glauben schenken kann. Kein Mann und keine Frau auf dem Anwesen, die nicht erklärt haben, daß er Frau Juliana äußerst ergeben gewesen wäre. Aber das Ausmaß seiner Ergebenheit... manche sagen, er liebte sie ein wenig zu sehr und ganz und gar nicht wie ein Sohn. Wieder andere sagen, er sei Rainald ebenso ergeben gewesen, aber diese Stimmen werden jetzt leiser. Luc war dabei, als sein Herr Rainald auf der Straße erstochen wurde. Und zwei Tage später verschwand er spurlos und ward seitdem nicht mehr gesehen.«
»Nun beginne ich zu verstehen«, schnaufte Hugh. »Ist man denn so weit gegangen, zu behaupten, er hätte seinen Herrn erschlagen, um die Dame zu gewinnen?«
»Seit seiner Flucht spricht man darüber. Man weiß nicht, wer mit dem Geflüster begonnen hat, aber inzwischen klingt es wie Hundegebell.«
»Warum sollte er vor dem Gewinn weglaufen, um den er gespielt hat? Das klingt widersinnig. Wenn er geblieben wäre, hätte es kein Geflüster gegeben.«
»Oh, das hätte es gegeben, ob er geblieben oder fortgegangen wäre. Es gab einige, die ihm sein Glück neideten und ihm jedes Unglück wünschten. Inzwischen gibt es zwei gute Gründe dafür, daß er fortgelaufen ist. Der erste ist Schuld und ein schlechtes Gewissen. Der zweite ist Furcht - die Furcht, daß jemand von seiner Tat erfahren hat und um jeden Preis die Wahrheit ans Licht bringen will. Wie auch immer, der Mann ist geflohen. Nachdem man getötet hat«, erklärte Olivier traurig und wissend, »ist einem das, wofür man tötete, oft weniger wert als zuvor.«
»Aber Ihr habt mir noch nicht verraten«, sagte Hugh, »was die Herrin von ihm sagt. Auf sie wird man doch gewiß hören.«
»Sie sagt, daß ein so böser Verdacht unberechtigt sei. Sie schätzt ihren jungen Vetter, aber es ist keine Liebe, und sie will auch nicht hören, daß er je auf diese Weise für sie empfunden habe. Sie sagt, daß er für seinen Herrn gestorben wäre, und daß er nach dem Tod seines Herrn krank vor Kummer und sogar ziemlich verwirrt fortgegangen sei - wer weiß schon, womit er sich selbst plagt? Denn er war in jener
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