Pilger Des Hasses
geschlossen, sondern in Erwartung der Absolution weit geöffnet. Er kniete schon eine Weile dort; er, der sonst nur zu froh war, sich von den Knien erheben zu können, die langsam steif wurden. Er hatte keine Schmerzen und keinen Kummer irgendeiner Art, sondern verspürte nur eine unendliche Dankbarkeit, in der er dahinschwamm wie ein Fisch im Meer. Ein Meer, das so rein und blau und schwindelerregend tief und klar war wie das Meer im Osten, an das er sich so gut erinnerte: der östliche Ausläufer des gezeitenlosen, legendären Mittelländischen Meeres, an dem die heilige Stadt Jerusalem lag, der Ruheplatz Unseres Herrn, ein hart erkämpftes Königreich. Die Heilige, die über die Abtei wachte, ob sie nun hier lag oder nicht, hatte ihm eine unendliche, strahlende Hoffnung geschenkt. Ihre Gnade mochte willkürlich sein, aber sie war gewiß herrlich. Sie hatte einem Unschuldigen, der ihre Güte verdiente, die Hand gereicht. Was beabsichtigte sie nun mit diesem weniger Unschuldigen, der ihrer Gnade dennoch nicht weniger bedurfte?
Hinter ihm sagte eine leise Stimme: »Betet Ihr um ein zweites Wunder?«
Er löste den Blick widerstrebend von den silbernen Reflexen auf dem Reliquienschrein und blickte zum Gemeindealtar, und sah Hugh, dessen Stimme er sofort erkannt hatte. Sein schmales, dunkles Gesicht lächelte ihn an. Aber hinter Hughs Schulter bemerkte er einen höheren Kopf und höhere Schultern. Aus der Dunkelheit lösten sich langsam schöne, ebenmäßige Gesichtszüge, glänzende, hervorstehende Wangenknochen, oliv gefärbte, glatte Wangen, die Bernsteinaugen eines Falken unter schwarzen, hoch geschwungenen Augenbrauen. Die schmalen, feinen Lippen des Mannes lächelten zögernd.
Es war unmöglich. Und doch sah er es mit eigenen Augen.
Olivier de Bretagne trat aus dem Schatten ins Licht der Altarkerzen. Und dies war der Augenblick, in dem St. Winifred den Kopf wandte und ihrem fehlbaren, aber treuen Diener lächelnd ins Antlitz blickte.
Ein zweites Wunder! Warum auch nicht? Wenn sie etwas schenkte, dann schenkte sie verschwenderisch mit beiden Händen.
11. Kapitel
Sie gingen zu dritt in den Kreuzgang hinaus, und das war an sich schon bemerkenswert und gut, denn sie waren noch nie zusammen gewesen. Der vertrauensvolle Austausch, der einst in einer Winternacht in der Priorei von Bromfield stattgefunden hatte, war Hugh noch unbekannt, und Olivier wurde durch eine seltsame Zurückhaltung daran gehindert, offen daran zu erinnern. Die Begrüßung fiel warm, aber kurz aus; doch das Schweigen sprach Bände, und Hugh verstand zweifellos genug und war bereit, auf die erklärenden Worte zu warten oder sich damit abzufinden, daß sie vielleicht nie gesprochen würden.
Denn diese Angelegenheit drängte nicht; nur Luc Meverel mußte rasch gefunden werden.
»Unser Freund hier sucht jemand«, sagte Hugh, »und wir wollen Bruder Denis um Hilfe bitten, aber Eure Hilfe ist ebenso willkommen. Er sucht einen jungen Mann mit Namen Luc Meverel, der verschwunden ist und nach Norden gereist sein soll. Erklärt es ihm, Olivier.«
Olivier erzählte die Geschichte noch einmal, und Cadfael hörte aufmerksam zu. »Ich würde gern«, sagte Cadfael schließlich, »alles Menschenmögliche tun, um einen Unschuldigen aufzuspüren. Wir wissen von dem Mord, und es stößt gewiß jedem sauer auf, daß ein anständiger Mann, der einen ehrbaren Gegner beschützt hat, von einem aus seiner eigenen Partei ermordet worden sein soll...«
»Ist das denn sicher?« fragte Hugh scharf.
»So gut wie sicher. Wer sonst könnte so etwas tun außer einem Mann, der zu ihm gehörte? Alle, die im Herzen noch zu Stephen hielten, haben Rainalds Verhalten gewiß gebilligt, wenn sie vielleicht auch nicht offen zu applaudieren wagten.
Und die Vermutung, daß es wirklich nur Straßenräuber waren - warum sollten sie über einen Schreiber herfallen, der außer dem, was er für die Reise brauchte, nichts Wertvolles bei sich hatte, während die Stadt voller Adliger, Kirchenbeamter und Händler war, bei denen ein Raub größere Beute versprochen hätte? Rainald starb einzig und allein, weil er dem Schreiber zu Hilfe kam. Nein, ein Anhänger der Kaiserin wie Rainald selbst, aber ihm völlig unähnlich, hat diese Schandtat begangen.«
»Das klingt einleuchtend«, stimmte Olivier zu. »Aber mein größtes Anliegen ist es jetzt, Luc zu finden und ihn, wenn ich es vermag, nach Hause zu schicken.«
»Heute müssen zwanzig oder mehr Burschen in diesem Alter hier sein«,
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