Pilger Des Hasses
der verschwinden will, kann sich ebenso leicht eine Tarngeschichte ausdenken, wie er sich einen neuen Namen geben kann. Und es ist auf jeden Fall möglich, daß sie zwischen Abingdon und Shrewsbury Luc Meverel allein und unter seinem richtigen Namen kennengelernt haben.«
»Aber wenn einer der beiden wirklich der Gesuchte ist«, sagte Olivier unsicher, »wer ist dann, in Gottes Namen, der andere?«
»Wir stellen uns Fragen«, schaltete sich der praktisch denkende Hugh ein, »die uns die beiden gleich selbst beantworten können. Kommt, wir wollen es Abt Radulfus überlassen, sie zu rufen, und dann werden wir ja sehen, was herauskommt.«
Es war nicht schwer, den Abt zu veranlassen, nach den beiden Männern zu schicken. Schwerer war es schon, sie zu finden und sie zum Sprechen zu bringen. Der Bote, der glaubte, seinen Auftrag in kürzester Zeit erledigt zu haben, kehrte viel später als erwartet zurück und berichtete bedauernd, daß keiner der beiden in der Abtei zu finden sei. Der Pförtner habe zwar keinen der beiden durchs Tor gehen sehen, doch da der junge Matthew nicht lange nach dem Mittagessen seinen Dolch zurückverlangt habe, dem Haus eine großzügige Spende hinterlassen und erklärt habe, daß er und sein Freund aufbrechen müßten und sich für die Beherbergung bedanken wollten, sei der Bruder Pförtner sicher, daß die beiden abgereist seien. War er - Cadfael stellte die Frage, ohne den genauen Grund dafür zu wissen -, als er seine Waffe holte und für sich und seinen Freund bezahlte, in irgendeiner Weise verstört oder erschreckt oder sonst fassungslos?
Doch der Bote schüttelte den Kopf, da er am Tor keine derartige Frage gestellt hatte. Als Cadfael sich selbst beim Pförtner erkundigte, erwiderte dieser bestimmt: »Er war sehr erregt. Oh, er sprach so leise und höflich wie immer, aber er war bleich und aufgeregt, und man könnte sagen, daß ihm die Haare zu Berge standen. Aber so geht es wohl jedem hier, denn jeder glaubt sich seit dem Wunder in einem Traum. Ich dachte mir nur, daß er darauf brannte, die Neuigkeit weiterzutragen.«
»Fort?« fragte Olivier entsetzt, als Cadfael ins Sprechzimmer des Abtes zurückgekehrt war. »Nun scheint es mir wahrscheinlicher, daß einer der beiden, die ein so seltsames Paar bilden und so seltsam über sich sprechen, der Mann ist, den ich suche. Denn wenn ich Luc Meverel auch selbst nicht kenne, so war ich doch zwei-oder dreimal bei seinem Herrn zu Gast, und er mag mich bemerkt haben. Vielleicht hat er mich heute gesehen und sich eilig verabschiedet, weil er mir nicht begegnen wollte. Er kann nicht wissen, daß ich ihn suchen soll, aber er könnte es dennoch vorziehen, rasch zu verschwinden.
Und ein leidender Gefährte ist eine gute Deckung für einen Mann, der einen Vorwand für seine Reise braucht. Ich wünschte, ich könnte mit den beiden sprechen. Wie lange sind sie schon fort?«
»Matthew hat seinen Dolch etwa anderthalb Stunden nach dern Mittagsmahl zurückverlangt«, berichtete Cadfael.
»Und sie sind zu Fuß!« sagte Olivier begeistert. »Und einer von ihnen sogar barfuß! Es sollte nicht schwer sein, sie einzuholen, wenn bekannt ist, welche Straße sie genommen haben.«
»Der beste Weg ist die Straße nach Oswestry und von dort aus weiter über den Wall nach Wales. Bruder Denis sagte, das sei jedenfalls Ciarans Absicht gewesen.«
»Dann werde ich mit Eurer Erlaubnis, Ehrwürdiger Vater«, sagte Olivier begierig, »mein Pferd nehmen und ihnen nachreiten, denn sie können noch nicht weit sein. Es wäre schade, wenn ich diese Gelegenheit nicht ergriffe, und selbst wenn sie nicht die sind, die ich suche, haben weder sie noch ich etwas verloren, Aber mit oder ohne meinen Mann, ich werde hierher zurückkehren.«
»Ich reite mit Euch durch die Stadt«, bot Hugh sich an, »und zeige Euch den richtigen Weg, da Ihr Euch hier nicht auskennt.
Aber dann muß ich mich um meine eigenen Angelegenheiten kümmern und sehen, was die Jagd heute morgen eingebracht hat. Ich bezweifle, daß die Galgenvögel tief in den Wald eingedrungen sind, denn sonst hätte ich inzwischen eine Nachricht bekommen. Wir erwarten Euch am Abend zurück, Olivier. Wenn möglich, wollen wir Euch wenigstens noch eine Nacht oder länger hierbehalten.«
Olivier verabschiedete sich hastig, aber sehr höflich, machte dem Abt eine Ehrenbezeugung und wandte sich mit einem kurzen, fröhlichen Lächeln, das seine Sorgen einen Moment lang überstrahlte, als wäre die Sonne durch Regenwolken
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