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Pilger Des Hasses

Pilger Des Hasses

Titel: Pilger Des Hasses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
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bleiche, engelhafte Gesicht und strahlte Cadfael an. »Nein, ich brauche keine Angst zu haben. Ich komme.« Er hob den Leinenbeutel auf und stand fest auf seinen beiden langen, jungen Beinen und übernahm sofort die Führung.
    »Bleibt bei uns«, sagte Abt Radulfus, als Cadfael den Jungen zu ihm geführt hatte und sich verabschieden wollte. »Ich glaube, er wird sich freuen, wenn Ihr dabei seid.« Und außerdem, sagte sein beredter, strenger Blick, brauche ich Euch als Zeugen. »Rhun kennt Euch. Mich dagegen kennt er noch nicht, aber ich hoffe, wir werden bald Freunde sein.« Er ließ den braunen Beutel, der ihm mit einer kurzen Erklärung übergeben worden war, auf dem Schreibtisch liegen, bis der Augenblick gekommen war, ihn näher zu untersuchen.
    »Aber gern, Ehrwürdiger Vater«, willigte Cadfael freudig ein. Er setzte sich etwas abseits in eine Ecke, um die beiden strahlenden Augenpaare, die sich begegneten, nicht zu stören.
    Abt und Junge erforschten einander eine Weile schweigend.
    Draußen vor den Fenstern blühte der Garten in trunkener Fülle in den grellen Farben des Sommers. Der hellblaue Himmel, der jetzt, am Spätnachmittag, unendlich hoch schien, hatte die Farbe von Rhuns Augen, doch ohne deren kristallenen Glanz.
    Der Tag der Wunder näherte sich langsam seinem strahlenden Ende.
    »Mein Sohn«, sagte Radulfus sanft, »Euch wurde heute eine große Gnade zuteil. Ich habe gesehen und gefühlt, was alle erlebt haben, die dabei waren. Aber ich würde auch gern erfahren, wie es Euch erging. Ich weiß, daß Ihr lange mit Schmerzen gelebt habt, ohne Euch zu beklagen. Ich glaube zu erraten, in welcher Verfassung Ihr Euch dem Altar der Heiligen genähert habt. Aber nun sagt mir, was geschah dann mit Euch?«
    Rhun hatte die leeren Hände ruhig im Schoß gefaltet. Sein Blick, der zugleich entrückt und entspannt schien, drang durch die Wände des Zimmers hindurch. Seine Schüchternheit war vergessen.
    »Ich machte mir Sorgen«, erklärte er vorsichtig, »weil meine Schwester und meine Tante Alice soviel für mich wollten, während ich wußte, daß ich nichts brauchte. Ich wollte herkommen, beten und zufrieden wieder abreisen. Aber dann hörte ich ihren Ruf.«
    »Hat die heilige Winifred mit Euch gesprochen?« fragte Radulfus leise.
    »Sie hat mich zu sich gerufen«, erklärte Rhun selbstbewußt.
    »Mit welchen Worten?«
    »Nicht mit Worten. Wozu braucht sie Worte? Sie rief mich zu sich, und ich ging. Sie sagte mir, da ist eine Stufe, dort ist noch eine, und dort die dritte, und nun komm, du kannst es. Und ich wußte, daß ich es konnte, und deshalb ging ich. Als sie mir sagte, knie nieder, denn du kannst es, da kniete ich nieder. Und ich konnte es. Ich tat einfach, was sie mir sagte. Und das werde ich auch in Zukunft tun«, sagte Rhun, während er mit Augen, vor denen die Sonne erbleicht wäre, die gegenüberliegende Wand anstarrte.
    »Mein Junge«, sagte der Abt, der ihn mit ernster Verwunderung und Achtung betrachtete, »ich glaube Euch. Ich kann nicht sagen, welche Gaben Ihr besitzt und welche Fähigkeiten Ihr noch entwickeln werdet. Ich freue mich, daß Ihr jetzt einen gesunden Körper und einen reinen Geist und Verstand habt.
    Ich wünsche Euch für Eure Berufung alles Gute, und dazu die nötige Entschlossenheit. Wenn Ihr noch eine Bitte habt, die Euch dieses Haus erfüllen kann, dann soll sie erfüllt werden.«
    »Ehrwürdiger Vater«, sagte Rhun gefaßt, während er den blendenden Blick auf Schatten und Sterblichkeit richtete und wieder das Kind wurde, das er war, »muß ich denn fortgehen?
    Sie rief mich zu sich, so zärtlich, daß ich keine Worte dafür finde. Ich wünsche, bis zum Ende meines Lebens hier bei ihr zu bleiben. Sie rief mich zu sich, und ich will sie nie wieder verlassen.«

12. Kapitel
    »Und Ihr wollt ihn behalten?« fragte Cadfael, nachdem der Junge sich mit einer tiefen Verbeugung verabschiedet hatte und in seiner bezaubernden, unbewußten Vollkommenheit gegangen war.
    »Wenn er bei seiner Absicht bleibt, gewiß. Er ist ein lebender Beweis für die göttliche Gnade. Aber ich will ihm nicht voreilig die Gelübde abnehmen, damit er später nichts zu bedauern hat.
    Er wird jetzt von Freude und Staunen getragen und würde Zölibat und Zurückgezogenheit freudig auf sich nehmen. Wenn er in einem Monat noch den gleichen Wunsch hat, werde ich ihm glauben und ihn freudig willkommen heißen. Aber er soll auf jeden Fall die volle Novizenzeit durchmachen. Er soll sich die Türe nicht selbst

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