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Pilger Des Hasses

Pilger Des Hasses

Titel: Pilger Des Hasses Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellis Peters
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zurückzuziehen, um in Ruhe nachzudenken; und der vergangene Tag hatte ihm ebenso Grund zum Nachdenken wie zur Dankbarkeit gegeben. Denn wo waren seine Sorgen geblieben? Wunder wurden ebensooft dem Unwürdigen wie dem Würdigen zuteil. Welch ein Wunder, daß die Heilige den jungen Rhun ins Herz geschlossen und ihm eine helfende Hand gereicht hatte. Aber das zweite Wunder war in doppelter Hinsicht wunderbar und ging weit über die Bitten ihres demütigen Dieners hinaus und verblüffte ihn mit seiner Großzügigkeit. Ihm Olivier zurückzubringen, den er doch Gott und der großen weiten Welt überlassen hatte, nachdem er sich damit abgefunden hatte, daß er ihn nie wiedersehen würde!
    Und dann noch die Worte Hughs, der unwissentlich zum Herold eines Wunders wurde, als er sagte: »Betet Ihr um ein zweites Wunder?« Er hatte demütig und erstaunt für das eine Wunder gedankt und nichts mehr erwartet; doch dann hatte er sich umgedreht und Olivier gesehen.
    Der Westhimmel war immer noch klar und hell wie flüssiges Gold, und die Sonne stand noch hoch über den Baumwipfeln, als er die Tür seiner Hütte öffnete und in das gemütliche, nach Kräutern duftende Halbdunkel trat. Er dachte und sagte später, daß er in diesem Augenblick die unzertrennliche Beziehung zwischen Ciaran und Matthew plötzlich umgekehrt sah, in ihr Gegenteil verkehrt, und daß er in einem noch verschlossenen, fernen Winkel seines Kopfes begann, die ganze Angelegenheit zu verstehen, so zweifelhaft und unschlüssig die Enthüllung auch schien. Aber er hatte keine Zeit, die Vision einzufangen und zu verfestigen, denn als er über die Schwelle trat, keuchte es irgendwo im Schatten der Hütte, und es raschelte, als wäre ein wildes Tier in seinem Bau aufgestört worden und machte sich bereit, sein Leben zu verteidigen.
    Er blieb stehen und zog hinter sich die Tür weit auf, um anzudeuten, daß es einen Fluchtweg gab. »Nur ruhig!« sagte er freundlich. »Darf ich denn nicht mehr ohne Erlaubnis meine eigene Hütte betreten? Und sollte sich durch mein Eintreten jemand bedroht fühlen?«
    Seine Augen, die sich rasch an die Dunkelheit gewöhnt hatten, denn es schien ihm nur im Vergleich zum Strahlen draußen dunkel, musterten die Regale, die blubbernden Weinflaschen, die in einer breiten Reihe standen, die pendelnden, raschelnden Kräuterbüschel, die unter den niedrigen Deckenbalken hingen. Die Dinge nahmen Formen an und wurden sichtbar. Auf der breiten Holzbank an der Rückwand regte sich ein Haufen wirrer Kleider und richtete sich auf, bis das weizengelbe Haar eines Mädchens und das tränenüberströmte, geschwollene Gesicht Melangells zu sehen waren.
    Sie sprach kein Wort, aber sie sank auch nicht sofort wieder um. Sie war weit darüber hinaus und hatte schon lange keine Angst mehr, sich so, wie sie war, einem verschwiegenen Menschen, dem sie vertraute, zu zeigen. Sie steckte die Füße in die abgestoßenen Lederschuhe auf dem Boden und lehnte sich gegen die Balken der Wand, wie um sich durch die feste Berührung zu beruhigen. Sie gab einen schweren, gewaltigen Seufzer von sich, der aus großer Tiefe zu kommen schien, und sank kraftlos und ergeben zusammen. Als er über den Boden aus gestampfter Erde schritt und sich neben sie setzte, wich sie nicht zurück.
    »Nun«, sagte Cadfael, während er sich umständlich setzte, um ihr Zeit zu geben, wenigstens ihre Stimme wieder in die Gewalt zu bekommen. »Nun, mein liebes Kind, hier ist niemand, der Euch erlösen oder verdammen könnte, und deshalb könnt Ihr frei heraus sprechen, denn alles, was Ihr sagt, wird unter uns beiden bleiben. Aber wir zwei wollen uns gründlich beraten.
    Was wißt Ihr nun, das ich nicht weiß?«
    »Warum sollen wir uns beraten?« fragte sie mit leiser, tonloser Stimme. »Er ist fort.«
    »Was fort ist, kann wiederkommen. Die Straßen führen immer zu anderen Straßen, in diese und in jene Richtung. Was tut Ihr allein hier draußen? Euer Bruder läuft auf zwei gesunden Beinen herum und hat alles, was er sich gewünscht hat; nur Ihr fehlt ihm wohl.«
    Er sah sie nicht direkt an, aber er spürte, wie sich ihr warmer, weicher Körper regte; sie lächelte, wenn auch zaghaft. »Ich bin geflohen«, erwiderte sie, »um ihm nicht die Freude zu verderben. Ich habe es den größten Teil des Tages ertragen, und ich glaube, niemand außer Euch hat bemerkt, daß es mir fast das Herz zerrissen hat.« Sie sprach ohne Vorwurf; es klang eher resigniert.
    »Ich habe Euch gesehen, als wir von St. Giles

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