Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Pilger des Zorns

Pilger des Zorns

Titel: Pilger des Zorns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Klausner
Vom Netzwerk:
Bemühungen erregte sein Mitgefühl. Dies war nun schon der dritte Versuch, einen Wurm aufzuspießen, und die Chancen, dass er es schaffen würde, standen schlecht. Der Grund dafür war der offensichtliche Ekel, den der Knabe vor jedwedem Gewürm hegte, weshalb sich Bruder Hilpert entschloss, ihm in seiner Not beizustehen.
    Dazu sollte es jedoch nicht mehr kommen. Im Begriff, dem Knaben seine Hilfe anzubieten, wurde Bruder Hilperts Tatendrang jäh unterbrochen. Die Kajütentür öffnete sich, und Rosalinde betrat das Deck.
    Bruder Hilpert rieb sich verblüfft die Augen. Mit der Geistererscheinung vom Vormittag hatte das Mädchen im Umhang aus veilchenblauem Musselin nichts zu tun, und er fragte sich, ob es sich nicht um ein Trugbild handelte. Doch dem war nicht so. Die dunkelhaarige, zwar ein wenig blasse, aber dennoch überaus lieblich anzuschauende junge Dame war Rosalinde. Bruder Hilpert musste zweimal hinsehen, um die erstaunliche Metamorphose zu begreifen. Der Grund hierfür blieb ihm jedoch verborgen. Für Richwyn, mit dem er einen überraschten Blick tauschte, galt das Gleiche.
    Der Verzweiflung nahe, war der Schiffsjunge viel zu sehr mit seiner Angel beschäftigt, um die junge Frau überhaupt zu bemerken. Dies geschah erst dann, als sie unmittelbar neben ihn trat. Dafür aber umso nachhaltiger, denn er erschrak so sehr, dass die Angel beinahe ins Wasser gefallen wäre. Rosalinde quittierte es mit einem Lächeln. Dann nahm sie dem Schiffsjungen die Angel aus der Hand, befestigte den Köder, holte aus und warf die Schnur in hohem Bogen über Bord. An sich schon schüchtern genug, lief der ein Jahr ältere Jüngling knallrot an. Nur allzu gerne hätte er sich in den hintersten Winkel des Schiffes verkrochen, doch das Lächeln, mit dem ihm Rosalinde die Angel überreichte, nagelte ihn förmlich auf den Planken fest.
    »Ein schönes Bild, nicht wahr?«, vernahm Bruder Hilpert den rauen Bariton des Spielmannes, der sich inzwischen zu ihm gesellt hatte.
    »In der Tat!«, pflichtete ihm Bruder Hilpert bei, legte den Zeigefinger auf die Lippen und rührte sich nicht von der Stelle. Das Bild hatte etwas Anrührendes an sich. Selbst für ihn, der er mit den Tücken des Erdendaseins auf vertrautem Fuße stand. Und so standen Bruder Hilpert und Richwyn Seite an Seite, auch dann noch, als ein wahres Monstrum von Barbe an der Angel zappelte.
    Zum krönenden Abschluss des Unterfanges kam es jedoch nicht mehr.
    »Was zum …«, schnaubte die Matrone, als sie das Deck betrat und ihr Blick auf Rosalinde und den Schiffsjungen fiel. Dieser war so erschrocken, dass die Barbe beinahe entwischt wäre, die junge Frau dagegen ruhig und gefasst. Nichtsdestotrotz standen die Zeichen auf Sturm, und Bruder Hilpert machte sich auf eine Standpauke gefasst.
    Kurz bevor die Trompeten von Jericho ertönten, hielt die Mittvierzigerin mit dem Doppelkinn jedoch inne, und als Bruder Hilpert zu Richwyn hinüber sah, verstand er auch, warum.
    Es war dieser Blick, der den heraufziehenden Sturm in ein laues Lüftchen und die aufgebrachte Matrone in ein zahmes Schoßhündchen verwandelt hatte. Alles, was der Spielmann getan hatte, war, einen Schritt nach vorn zu machen, die Arme zu verschränken und sich zu voller Größe aufzurichten. Und die war in der Tat imposant, fast so Furcht einflößend wie der Blick, mit dem er die unerwünschte Aufpasserin strafte. »Irgendetwas nicht in Ordnung mit Euch?«, brummte er.
    Die Froschaugen der Matrone weiteten sich, und ihr Doppelkinn sackte nach unten. In der Aufregung war ihr einmal mehr die Flügelhaube verrutscht, weshalb sie den vergeblichen Versuch machte, ihr zinnoberrot gefärbtes Haar darunter zu verbergen. »Nein, Herr!«, beteuerte sie, nur um umgehend hinzuzufügen: »Was ich sagen wollte, ist … ich will damit sagen, dass alles in bester Ordnung ist!«
    »Wie schön«, kommentierte Richwyn, nicht mehr ganz so souverän wie zuvor. »Noch irgendwelche Fragen?«
    »Nein!«, winselte die Matrone und senkte den Blick.
    Richwyn vernahm es mit Befriedigung und warf dem Schiffsjungen, der die Barbe soeben an Deck gehievt hatte, anerkennende Blicke zu. »Dann lasset uns zu Tische sitzen!«, forderte er die Umstehenden auf. »Damit wir nur ja nicht ver…«
    »Beim Schweife Luzifers – was ist denn hier passiert?«
    Aus welcher Richtung der Kapitän aufgetaucht war, vermochte Bruder Hilpert nicht zu sagen. Kaum war dies jedoch geschehen, befand er sich an Bord und steuerte mit hochrotem Kopf auf Richwyn

Weitere Kostenlose Bücher