Pilger des Zorns
wiederum wollte die Sache offenbar möglichst rasch hinter sich bringen. Ein verächtliches Schnauben und ein ebensolches Lächeln. Dann machte er einen Ausfallschritt, packte den Stock und hob ihn über den Kopf.
»Haltet ein, sonst bekommt Ihr es mit mir zu tun!« Mit dem Mönch, der sich schützend vor den Bettler stellte, hatte der Fremde nicht gerechnet. Schon gar nicht damit, dass ihm Bruder Hilpert den Stab entwinden, wie einen Strohhalm entzweibrechen und achtlos wegwerfen würde.
»Kann es sein, dass Euch ein wenig Mildtätigkeit gut zu Gesicht stünde?«, nutzte Bruder Hilpert, der seinen Widersacher mit einem strafenden Blick bedachte, dessen Verblüffung aus und warf dem Bettler einen Goldgulden zu. Dieser konnte sein Glück kaum fassen und zog sich unter lautstarken Ergebenheitsbekundungen zurück.
»Ich wüsste nicht, wieso!«, lautete die Antwort, bei der es letztendlich blieb. Denn kaum hatte sich der Jakobspilger gefangen, stutzte er und sah Bruder Hilpert mit großen Augen an.
Dann steuerte er auf das Fallreep der ›Charon‹ zu.
Über das Gesicht des Kapitäns, der die Szene beobachtet hatte, flog ein hämisches Lächeln. Bruder Hilpert war jedoch zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um es zu bemerken.
Wäre dies der Fall gewesen, hätte er das Unheil, das sich über der ›Charon‹ zusammenbraute, ohnehin nicht verhindern können.
NACH PRIMA
Worin auf BURG ROTHENFELS die Flucht eines Gefangenen bemerkt wird und der Amtmann darüber in Wallung gerät.
Die Sturmglocke läutete ununterbrochen, und die ganze Besatzung war auf den Beinen. Ein Suchtrupp durchkämmte den Wald, ein anderer das Dorf. Zu guter Letzt, als auch dies nicht fruchtete, wurden die Bluthunde von der Leine gelassen. Ohne Erfolg. Der Gefangene war längst über alle Berge. Und das offensichtlich schon seit geraumer Zeit. Nicht irgendein Gefangener, wohlgemerkt. Sondern ein Ketzer, Aufwiegler, Hochverräter. Mithin das Peinlichste an der Sache.
Das wusste auch der bischöfliche Amtmann, dessen Miene Zorn, Wut und eine gehörige Portion Ratlosigkeit verriet. Er hatte die ganze Burg auf den Kopf stellen lassen. Zoll um Zoll, bis in den hintersten Winkel. Zu seinem Leidwesen jedoch ergebnislos. Dieser Ketzer war wahrscheinlich mit dem Leibhaftigen im Bunde. Anders war seine Flucht nicht zu erklären.
Oder dadurch, dass der Kerkermeister wieder einmal bezecht gewesen war.
Ein Hornsignal, das vom Türmer auf dem Bergfried stammte, riss den Amtmann aus seinen Gedanken. Der vertrocknete Federfuchser undefinierbaren Alters rückte seine Kappe zurecht, reckte die schmächtige Statur und sah mit erwartungsvoller Miene zum Burgtor hinüber. Wie sein bischöflicher Herr auf die Hiobsbotschaft reagieren würde, wagte er sich nicht einmal vorzustellen. Und so kam ihm die Rückkehr des berittenen Suchtrupps gerade recht.
»Und – schon irgendeine Spur?«, rief er dem Kastellan zu, der an der Spitze von einem halben Dutzend Reisigen in den Burghof sprengte.
Beim Anblick des stiernackigen Haudegens kühlte sich der Optimismus des Amtmannes jedoch wieder ab. »Nein, Herr!«, rief der Kastellan zu ihm hinauf. »Bis jetzt noch nicht!«
»Aber er kann sich doch nicht einfach in Luft aufgelöst haben!«
»Offenbar doch!«, begehrte der Kastellan auf und zügelte seinen Rappen, der aufgeregt auf der Stelle tänzelte. »Dieser Bastard muss mit dem Teufel im Bunde sein. Anders kann ich mir das nicht erklären.«
»Ich schon.« Aller Augen, inklusive diejenigen des Amtmannes, wandten sich einem Wildhüter zu, der mit verschränkten Armen am Torbogen lehnte. Er trug eine grüne Filzkappe, lederne Beinlinge und ein abgenutztes Wams und kannte die Gegend wie seine Westentasche. Sein treuester Gefährte, ein vierjähriger Bluthund, kauerte gehorsam an seiner Seite und gehorchte im Gegensatz zum Rappen des Kastellans aufs Wort.
»Nur zu!«, ermunterte ihn der Amtmann, auf der Freitreppe postiert, die vom Palas in den Burghof führte. »Wir sind ganz Ohr.«
Der Wildhüter verzog keine Miene. Er hatte schon viele Amtmänner erlebt, aber keinen, der so borniert war wie dieser Korinthenkacker. Doch dann schüttelte er seine Antipathie ab, kraulte den Nacken seines Hundes und sagte gedehnt: »Wer immer ihm zur Flucht verholfen hat – mit Hexerei hatte das jedenfalls nichts zu tun.«
»Tatsächlich? Und mit was dann?«, fuhr der Amtmann den alten Wildhüter an.
»Damit!«, trumpfte dieser auf, nahm ein zusammengerolltes Tau von der
Weitere Kostenlose Bücher