Pilger des Zorns
erahnen, dass es sich um ein außergewöhnlich kostspieliges Instrument handelte. »Und wann?«
»Das genau ist der Punkt. Mit meiner Erinnerung scheint es diesbezüglich nicht allzu weit her zu sein.«
»Mit meiner auch nicht!«, lautete die kategorische Replik, weshalb sich Bruder Hilpert entschloss, das Thema nicht weiter zu verfolgen. Sehr zur Erleichterung des Spielmannes, dessen Stimmung sich daraufhin abrupt änderte. »Zeit für ein Ständchen, findet Ihr nicht auch, Bruder?«, strahlte er plötzlich übers ganze Gesicht. »Oder habt Ihr etwas dagegen?«
»Keineswegs.«
»Etwas Deftiges vielleicht?«
»Meinetwegen«, seufzte Bruder Hilpert und lächelte gequält. Doch da hatte Richwyn bereits Position auf dem Vorderdeck bezogen, sich in die Brust geworfen und ein weithin bekanntes Spottlied angestimmt. »Ich wollt ’ ein Mönchlein werden«, verhieß bereits die erste Zeile nichts Gutes. »Ich hatt ’ kein ’ Lust dazu, kann nicht allein schlafen, find einfach keine …«
»Was soll das, Possenreißer – weißt du nicht, was für ein Tag heute ist?«
»Natürlich.«
»Wozu dann das Gejaule, wenn man fragen darf?«
Einen Wimpernschlag lang standen sich der neue Passagier und Richwyn wie sprungbereite Raubtiere gegenüber. Die leiseste Provokation, und sie wären aufeinander losgegangen. Dazu musste man kein Prophet sein, weshalb Bruder Hilpert beschwichtigend die Arme hob.
Eine Geste, die er sich hätte sparen können. Denn kaum war er zwischen die beiden Streithähne getreten, hatte sich Richwyn wieder gefasst und sagte mit honigsüßer Stimme: »Nichts für ungut, frommer Pilger! Hätte ich gewusst, dass Ihr die Schlaflaube auch am Tage zu nutzen gedenkt, wäre mein Ständchen mit Sicherheit unterblieben.«
An und für sich tat sich Bruder Hilpert mit Antipathien schwer. Bei dem Choleriker, der sich mit wutentbrannter Miene vor der Schlaflaube aufgebaut hatte, verhielt es sich jedoch anders. Er war ihm von Anbeginn an suspekt gewesen. Ohne dass er genau gewusst hätte, warum.
Schmierig, feist und untersetzt. Breitkrempiger Hut samt Jakobsmuschel, die Gewandung ärmlich bis unauffällig. Und obendrein noch diese Froschaugen. Bruder Hilpert stöhnte innerlich auf. Nicht schon wieder!, wehrte er sich gegen den Gedanken, der ihn in diesem Moment beschlich. Daran zu rütteln gab es freilich nichts. Er hatte diesen Zeitgenossen, von dem man instinktiv Abstand nahm, schon einmal gesehen.
Würzburg. Gestern Morgen, unmittelbar vor seiner Abreise. Der Rüpel auf dem Oberen Markt.
Verwechslung ausgeschlossen.
»Es soll nicht wieder vorkommen – mein Wort darauf, frömmster aller Pilger!«
Die Erkenntnis kam plötzlich, doch zu spät, um Schlüsse daraus zu ziehen. Denn noch war der Zwist an Deck der ›Charon‹ nicht vorüber. Richwyns neuerlicher Entschuldigung, die alles andere als glaubwürdig geklungen hatte, zum Trotz.
Eine Mutmaßung, die sich umgehend bewahrheiten sollte.
»Täusche ich mich, Possenreißer – oder sind wir beide uns schon mal über den Weg gelaufen?«, kläffte der vermeintliche Jakobspilger, der gegenüber Richwyn wie ein aufgeblasener Straßenköter wirkte.
»Zu viel der Ehre, Hochwohlgeboren«, parierte der mindestens zwei Köpfe größere und noch dazu ungleich kräftigere Spielmann mit unverhohlener Ironie. »Diesbezüglich muss ich Euch wirklich enttäuschen. Und dann noch mein Gesang – man hat es wahrhaftig nicht leicht im Leben.«
»Genug des Getändels!«, schnauzte der Pilger Richwyn an. »Dein vorlautes Geschwätz kannst du dir in Zukunft sparen!«
»Amen!«, vollendete Richwyn mit todernster Miene und intonierte einen höchst dissonanten Schlussakkord. Dann legte er seine Laute beiseite.
Doch sein Widersacher gab sich damit noch nicht zufrieden und ließ seine Augen abwechselnd auf Bruder Hilpert und dem Spielmann ruhen. »Seltsam«, murmelte er mit Blick auf Richwyn, während sich ein paar runzliger Lider über die Froschaugen senkte. »Wirklich seltsam. Aber irgendwie kommst du mir bekannt vor. Fragt sich nur, woher.« Dann fuhr er über die wulstigen Lippen und ergänzte: »Was im Übrigen auch für Euch gilt, Bruder.«
»Errare humanum est [12] , werter Reisegefährte!«, konterte Bruder Hilpert und verzog keine Miene.
»Passt nur auf, dass Ihr es nicht seid, der sich irrt.«
»Ein Mitreisender, der des Lateinischen mächtig ist!«, frohlockte Bruder Hilpert und klatschte in die Hände. »Ein Geschenk des Himmels. Darf man fragen, wo man es
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