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Pilger des Zorns

Pilger des Zorns

Titel: Pilger des Zorns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Klausner
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Boshaftigkeit nicht zu überbietendes Lächeln huschte dem kurmainzischen Notarius übers Gesicht. »Was den ersten Teil Eurer Mutmaßungen angeht, liegt Ihr zweifelsohne richtig. Man wird ein Exempel an Euch statuieren.«
    »Und weiter?«
    »Darüber hinaus muss ich Euch jedoch leider enttäuschen. Das Martyrium, nach dem Ihr offenbar giert, wird Euch erspart bleiben. Zu meinem allergrößten Bedauern, wie ich erneut betonen muss.« Der Burggraf gab ein zustimmendes Grunzen von sich und leerte den Becher in einem Zug. Der Notarius warf ihm einen missbilligenden Blick zu und fuhr fort: »Zuverlässigen Informationen zufolge soll unser allergnädigster Herr, der Erzbischof von Mainz, beim Bankhaus Eures Oheims zu Frankenfurt mit einem nicht unerheblichen Betrag in der Kreide stehen. Weshalb es glatter Selbstmord wäre, Euch ohne seine Zustimmung in die jenseitigen Gefilde zu befördern. Oder über Gebühr zu malträtieren. Mit anderen Worten – Ihr seid frei.«
    »Frei?«
    Der Notarius lächelte maliziös. »Na ja, eigentlich nicht ganz.« Der Notarius nahm die Pergamentrolle in beide Hände und sprach: »Wie gesagt – man wird nicht umhin kommen, ein Exempel an Euch zu statuieren. Allein schon des Herrn Zunftmeisters wegen – Ihr versteht. Was indes viel schwerer wiegt, sind die Interessen unseres Herrn, seines Zeichens Erzkanzler des Reichs. Um seinem etwaigen Zorn vorzubeugen, habe ich mich daher zu folgendem Vorgehen entschlossen: Ihr werdet dem erzbischöflichen Rat und Amtmann zu Aschaffenburg dieses versiegelte Schreiben übergeben, und zwar innerhalb der nächsten 48 Stunden. Mag er mit Euch verfahren, wie er es für nötig befindet. Erhalten wir binnen einer Woche keine Nachricht, wird über Euch die Reichsacht verhängt und mit allen verfügbaren Kräften Jagd auf Euch gemacht.« Der Notarius überreichte das Schreiben und zog sich wieder in den Schatten hinter dem Lehnstuhl des Burggrafen zurück. Die Stimme, die Isaak aus dem Halbdunkel vernahm, ließ ihn erschaudern: »Doch nun zum angenehmen Teil dieser leidigen Prozedur. Bis zur Ankunft des nächsten Schiffes bleibt uns nämlich nicht mehr viel Zeit.«

     

NACH TERTIA
    Worin beim Festmachen der ›CHARON‹ in WERTHEIM die Lage an Bord allmählich zu eskalieren droht.

     
    »Zu Hilfe!«, kreischte der Badstuber und wich mit erhobenen Händen zurück. »Mordio!«
    Mit der Ruhe an Bord der ›Charon‹ war es im gleichen Moment vorbei. Bruder Hilpert, der sich am Bug aufhielt, stockte der Atem. Im Nachhinein, mit reichlich Abstand zu den Geschehnissen, wusste er nicht, was ihn mehr entsetzt hatte: der hämische Blick des Kapitäns oder die Szene, zu deren unfreiwilligem Zeugen er geworden war.
    Mit dem, was sich hier abspielte, hatte kein Mensch gerechnet. Am allerwenigsten er selbst. Zumal sich die Gemüter nach Emichos Auseinandersetzung mit Richwyn und dem Auftritt des Kapitäns wieder halbwegs beruhigt zu haben schienen.
    Doch dann war Rosalinde aufgetaucht, zur Abwechslung einmal allein. Von Emicho hatte sie zunächst keinerlei Notiz genommen. Und der nicht von ihr. Rosalinde hatte das Deck betreten, dem Schiffsjungen zugelächelt und sich auf die Stufen vor dem Achterkastell gesetzt. Niemand, der sie in diesem Moment beobachtet hatte, wäre auf den Gedanken gekommen, dass sie sich von jetzt auf nachher in eine hasserfüllte Furie verwandeln würde. Und doch war dem so gewesen.
    Im Begriff, sich wieder dem Bug zuzuwenden, hatte Bruder Hilpert plötzlich ein Geräusch gehört. Ein Röcheln, Gurgeln und Zischen, genau wie bei einem Tier. Von sich aus wäre er nie auf die Idee gekommen, es könne von einem Menschen stammen. Und schon gar nicht von einer Maid, die so sanft und zerbrechlich wie Rosalinde war.
    Von Sanftmut war in diesem Moment jedoch nichts mehr zu spüren gewesen. Und auch nicht von Zerbrechlichkeit. Genau genommen hatte Bruder Hilpert die hasserfüllte Kreatur, die urplötzlich den Dolch des Kapitäns in Händen hielt, noch nie gesehen. Da war etwas an ihr gewesen, das ihn an eine antike Rachegöttin erinnert hatte. Eine Aura, der man sich nur schwer entziehen hatte können. Der Grund, weshalb er zu keinerlei Reaktion imstande gewesen war.
    Rosalinde trug Weiß, und als sie sich Emicho bis auf wenige Schritte genähert hatte, war der Wind durch ihr Haar gefahren. Ihr Blick hatte wie erloschen gewirkt, der Gang mechanisch und steif. Bruder Hilpert war es eiskalt den Rücken hinuntergelaufen. So wahr Gott sein Zeuge war: Eine

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