Pilger des Zorns
von Würzburg schon gar nicht.«
»Ihr wagt es, Euch mir zu widersetzen?«, plusterte sich die Krähe auf. »Mir, dem Vertreter seiner fürstbischöflichen Gnaden?«
»Bekanntlich ist sich jeder selbst der Nächste«, konterte der Hilfsvogt ungerührt, während sich die drei Wertheimer Reisigen vielsagende Blicke zuwarfen. »Und da dem so ist, sind wir zunächst einmal unserem Herrn verpflichtet. Der wiederum mindestens so angesehen wie der Eurige ist. Wenn nicht sogar noch mehr.«
Der Hieb saß, und der Amtmann gab widerstrebend nach. Gegen diesen Flegel von einem Hilfsvogt und den doppelzüngigen Zisterzienserbruder hatte er keine Chance. Zumindest nicht im Augenblick. Was aber nicht hieß, dass er sich bei passender Gelegenheit für die erlittene Demütigung revanchieren würde. »Ganz wie Ihr wollt!«, erwiderte er zerknirscht. »Eins aber kann ich Euch jetzt schon versichern, Vogt …«
»Hilfsvogt.«
»Wie dem auch sei – diese Angelegenheit wird für alle hier Anwesenden noch ein Nachspiel haben. Darauf gebe ich Euch mein Wort.«
»Meinetwegen.« Der Hilfsvogt und Bruder Hilpert wechselten einen raschen Blick. Dann klemmte Ersterer die Daumen hinter sein Schwertgehenk und fügte hinzu: »Und ich Euch das meinige, dass ich meinem Herrn auf das Eingehendste Bericht erstatten werde. Und nun – Gott befohlen.«
Die Krähe schnappte nach Luft, funkelte den Hilfsvogt wütend an und ging grußlos von Bord.
»Alle Achtung!«, zog Bruder Hilpert Bilanz, während er letzte Hand an den Verband seines Patienten legte. »Zu einem Adlatus wie Euch kann man meinem Freund Berengar nur gratulieren!«
Zur Abwechslung war die Reihe an dem Hilfsvogt, erstaunt zu sein. »Dann seid Ihr …«, stammelte er und machte große Augen.
»Hilpert von Maulbronn, in der Tat«, lautete die halb amüsierte, halb ernste Replik, denn wenn Bruder Hilpert etwas benötigte, dann die Hilfe seines Freundes. Er vermisste ihn mehr denn je, insbesondere in der jetzigen Situation.
»Hocherfreut, Eure Bekanntschaft zu machen!«, rief der Hilfsvogt aus und reichte Bruder Hilpert die Hand.
Bruder Hilpert lächelte und drückte sie. »Die Freude ist ganz auf meiner Seite!«, bekräftigte er, legte die Hand auf die Stirn des Kapitäns und stutzte. »Wenngleich ich mir nicht sicher bin, ob ich gerade eben einen Fehler gemacht habe.«
»Fehler – wieso?«
Bruder Hilpert seufzte, kontrollierte nochmals den Verband und rappelte sich auf. »Nicht so wichtig«, wiegelte er ab und sah Richwyn, den Schiffsjungen und den Hilfsvogt der Reihe nach an. »Das Beste ist, wir tragen ihn jetzt runter in seine Kajüte. Und dann sehen wir weiter.«
H
»Gut gemacht, Bruder«, raunte ihm eine heisere Stimme zu. Im Begriff, sich an Deck zu begeben, ließ Bruder Hilpert die Türklinke los und wirbelte herum. In der Kapitänskajüte war es düster und schummrig, die Luft muffig und feucht. Von der Decke baumelte eine Öllampe herab, und der Schatten, den Bruder Hilpert warf, ließ ihn wie ein Gespenst erscheinen. Es war merkwürdig still hier drunten, fast zum Fürchten. Von Karten, Messinstrumenten oder einem Logbuch keine Spur. Wo man auch hinsah, die gleiche, an Pingeligkeit grenzende Ordnung. Kein Gegenstand, der einfach nur herumlag, der Rückschlüsse auf seinen Besitzer erlaubt hätte. Und vor allem kein Wein, nicht einmal der Geruch danach. Der hier hauste, war entweder ein krankhafter Pedant – oder darauf bedacht, sich keine Blöße zu geben.
Oder, anders ausgedrückt, darauf aus, seine Identität zu verschleiern. Und somit ein Mann, dem man nicht über den Weg trauen durfte.
Um zu begreifen, was er vor Augen hatte, musste Bruder Hilpert zweimal hinsehen. Und selbst dann konnte er es immer noch nicht verstehen. Vor einer Viertelstunde war das Leben des Kapitäns anscheinend keinen Pfifferling mehr wert gewesen. Und jetzt saß dieser Halunke seelenruhig da und lächelte ihn an. Ein wenig blass zwar und gequält, doch imstande, sich aufrecht zu halten. Bruder Hilpert runzelte die Stirn, während seine anfängliche Überraschung in Misstrauen umschlug.
»Wie darf ich das verstehen?«, erwiderte er mit hochgezogenen Brauen, weder willens noch fähig, sein Unbehagen zu verbergen. »Da erwägt man, Euch die Sterbesakramente zu erteilen, und ein paar Rosenkränze später seid Ihr dem Tod entronnen und sitzt quicklebendig in Eurer Kajüte herum. Wenn das kein Wunder ist, will ich nicht Hilpert heißen.«
»Mit Verlaub –
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