Pilger des Zorns
Hilpert sah sein Gegenüber eindringlich an. »Darum mein Vorschlag: Lasst uns nicht weiter um den heißen Brei herumreden. Dass hier etwas faul ist, merkt sogar ein Kind.« Bruder Hilpert richtete sich zu voller Größe auf und schaute dem Kapitän direkt ins Gesicht. »Wer seid Ihr wirklich und was ist der Zweck dieser Fahrt? Und vor allem: Wo steckt der Gefangene, den Ihr heute Nacht an Bord genommen habt?«
»Zu Eurer Information, Bruder: Weder befinden wir uns hier vor Gericht, noch seid Ihr ein Inquisitor.«
Ein unheilvolles Lächeln huschte über Bruder Hilperts Gesicht. »Das vielleicht nicht«, antwortete er prompt. »Noch nicht. Und wisst Ihr was?«
Der Kapitän zuckte die Achseln. »Nein.«
»Wenn Ihr schlau seid, zwingt Ihr mich nicht dazu, meine in besagter Mission gemachten Erfahrungen zur Anwendung zu bringen!«
INTERLUDIUM (II)
Eilt sehr!
An Berengar von Gamburg, Vogt des Grafen von Wertheim, derzeit wohnhaft in der Dominikanergasse zu Würzburg am Main
Lieber Freund!
Ich hoffe, Dir, Irmingardis und der Familie Deines Schwagers geht es gut und Ihr befindet Euch wohl und bei guter Gesundheit. Da mir vor dem Ablegen der ›Charon‹ aus Wertheim noch etwas Zeit bleibt und seit unserem Abschied nunmehr fast ein Tag verstrichen ist, möchte ich Dir kurz berichten, was sich an Bord dieses Schiffes bislang zugetragen hat.
Um es vorwegzunehmen: Zu meinem Leidwesen verlief die bisherige Reise nicht wie geplant. Was, wie Du bei meiner Abreise mitbekommen hast, sich bereits in Würzburg angebahnt hat. Meine ursprüngliche Absicht, die Fahrt mainabwärts nach Kräften zu genießen, wurde jedenfalls gründlich durchkreuzt. Fast scheint es, als ob jedermann an Bord eine Maske trüge, darauf aus, die Mitfahrenden in die Irre zu führen. Dies trifft insbesondere auf den Kapitän zu, jedoch beileibe nicht nur auf ihn. Außer ihm und dem Schiffsjungen befinden sich inklusive meiner Wenigkeit derzeit fünf weitere Personen an Bord, eine merkwürdiger als die andere. Da wäre zum einen jene bedauernswerte Kreatur, Rosalinde mit Namen, von deren beklagenswertem Gemütszustand Du Dich ja bereits überzeugen konntest. In einem Moment der Liebreiz selbst, ist sie imstande, im nächsten zu einer wie von Dämonen besessenen Kreatur zu mutieren. Aus welchem Grund, ist mir bislang verborgen geblieben. Ihre Tante, die sich zumeist in ihrer Kajüte verkriecht, habe ich bislang höchst selten zu Gesicht bekommen. Ein Grund mehr, zu vermuten, dass auch sie etwas zu verbergen hat. Was im Übrigen auch auf Richwyn, einen umherziehenden Sackpfeifer und so etwas wie ein Hilfsmatrose, zuzutreffen scheint. Gemessen an dem Gewerbe, das er betreibt, scheint er über eine geradezu phänomenale Bildung zu verfügen, weit mehr, als man von einem Menschen seines Schlages erwarten würde. Ob Zufall oder nicht – auf den Instrumenten, die er mit sich herumschleppt, habe ich ihn bislang kein einziges Mal spielen hören. Auch behauptet er, mich zu kennen, wobei ich freilich nicht weiß, woher. Je länger ich über ihn nachdenke, umso mehr beschleicht auch mich das Gefühl, diesen Possenreißer, der möglicherweise keiner ist, von irgendwoher zu kennen. Was den Siebten im Bunde angeht, bin ich mir sicher, auch ihn schon einmal zu Gesicht bekommen zu haben. Im Gegensatz zu Richwyn weiß ich auch genau, wo, nämlich kurz vor meiner Abreise auf dem Oberen Markt. Was mich erstaunt, ist, dass er die Gewandung eines Jakobspilgers trägt, verhält er sich doch beileibe nicht so. Ob er mich wiedererkannt hat, vermag ich nicht zu sagen. Da es sich um einen mir äußerst widerwärtigen Patron handelt, ist diesbezüglich erhebliche Vorsicht geboten, was im Übrigen auf alle anderen Mitreisenden zuzutreffen scheint. Insbesondere jedoch auf den Kapitän, der vom bischöflichen Amtmann zu Rothenfels beziehungsweise dem hiesigen, Dir bestens bekannten Hilfsvogt bezichtigt wurde, an der Flucht eines Gefangenen von besagter Burg beteiligt gewesen, wenn nicht gar der Drahtzieher jenes handstreichartigen Unternehmens zu sein. Wo sich der Entflohene, ein Weggefährte des Jan Hus, derzeit verborgen hält, ist mir allerdings nicht bekannt. Doch bin ich mir sicher, demnächst etwas Licht in diese Angelegenheit bringen zu können, was mir mit Gottes Hilfe auch bezüglich anderer, nicht minder rätselhafter Vorgänge an Bord denn auch möglichst rasch gelingen möge. Besonders am Herzen liegt mir das Schicksal jenes bereits erwähnten
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