Pilger des Zorns
Eure Gefolgsleute von vornherein darauf aus wart, das Schiff samt Besatzung auf Grund zu …«
Beim Anblick der Striemen, Wunden und Blessuren, die den Oberkörper des Kapitäns bedeckten, hielt Bruder Hilpert mitten im Satz inne. Seltsamerweise zeigte der Schiffsjunge keinerlei Reaktion, ebenso wenig wie Richwyn, der so tat, als existierten die Wundmale überhaupt nicht.
»Wie bitte?«
Der barsche Ton des Hilfsvogtes rüttelte Bruder Hilpert wach, und er setzte seine Arbeit fort. Dies allerdings vorsichtiger denn je. »Darf man fragen, was ihm vorgeworfen wird?«, lenkte er klugerweise ein.
»Dürft Ihr!«, erklang eine Stimme, die Bruder Hilpert unbekannt war, und so blickte er überrascht auf. Nur um festzustellen, dass ihm das Männlein mit der Filzkappe, dem man den Federfuchser zehn Meilen gegen den Wind ansah, auf Anhieb unsympathisch war. »Gut möglich, dass Ihr Eure Mildtätigkeit noch bereuen werdet, Bruder …«
»Hilpert. Und wer seid Ihr?«
Über das Gesicht seines Gesprächspartners, der seine abstehenden Ohren mithilfe der schwarzen Kappe zu kaschieren versuchte, huschte ein sibyllinisches Lächeln. »Der Amtmann Johanns von Brunn, Bischof von Würzburg und Herzog von Franken.«
»Aha!«, war alles, was Bruder Hilpert dazu zu sagen hatte. Dann wandte er sich wieder seinem Patienten zu. Und das nicht ohne Grund. Die Erwähnung des Fürstbischofs genügte, um jede Menge ungute Erinnerungen in ihm zu wecken. Zu viele, um ehrlich zu sein. »Und?«, fügte er nach einer Weile hinzu. »Was hat mein Patient angestellt?«
»Von wegen ›angestellt‹!«, plusterte sich der Federfuchser auf, der Bruder Hilpert spontan an eine Krähe erinnerte. »Zu Eurer Information: Er hat einem rechtskräftig verurteilten böhmischen Ketzer zur Flucht von Burg Rothenfels verholfen – einem Weggefährten von diesem Hus, um es genau zu sagen. Ruchloser geht es doch wohl nicht, oder doch?«
»Und die Beweise?« Nach außen hin betont kühl, durchfuhr es Bruder Hilpert wie der Blitz. Die mysteriöse Zusammenkunft am Vorabend, die nächtlichen Geräusche, der Versuch, ihn außer Gefecht zu setzen, und vor allem sein tschechischer Akzent – alles Indizien, die gegen den Kapitän sprachen. Und ein Grund mehr, die Konfrontation mit dem Amtmann nicht auf die Spitze zu treiben. Weshalb er dennoch nicht klein beigab, wusste er selbst nicht so genau. Mag sein, er konnte diese Vogelscheuche im schwarzen Talar nicht ausstehen. Davon durfte sich ein ehemaliger Inquisitor jedoch nicht beeindrucken lassen. Das war ihm hinreichend klar. Weshalb dann also dieses Unbehagen – wider besseres Wissen? Er wusste es nicht. Möglicherweise war er dabei, einen großen Fehler zu machen.
Einen Fehler, den er noch bereuen würde.
»Beweise?«, ereiferte sich die Krähe und fuchtelte wild mit den Armen herum. »Und das von einem Zisterzienser! Ehrlich gesagt wüsste ich nicht, welche Beweise in diesem Falle nötig wären.«
»Solche in Form eines Corpus Delicti. Oder von Zeugen. Oder, besser noch, von beidem.«
Der Amtmann riss die Augen auf und holte tief Luft. Zu einer Eskalation des Disputs sollte es jedoch nicht mehr kommen. Die Luke auf dem Vordeck wurde aufgestoßen, und ein bärtiges, vor Anstrengung gerötetes Gesicht tauchte auf. »Keine Spur von ihm, Herr!«, rief der Reisige dem Hilfsvogt zu. »Der Vogel ist ausgeflogen – das heißt, falls er überhaupt jemals da drunten war.«
»Irrtum ausgeschlossen?«, krächzte der Amtmann und trat nervös auf der Stelle. Die Miene des Schiffsjungen, der keinen Hehl aus seiner Abneigung machte, hellte sich merklich auf.
Der Reisige atmete tief durch, setzte sich auf die Stufen und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Meiner Meinung nach schon.«
»Und die beiden anderen?«
Der korpulente Haudegen verzog das Gesicht, schluckte seinen Unmut jedoch rasch hinunter. »Sind der gleichen Meinung wie ich«, trumpfte er auf. »Weit und breit keine Spur.«
»Sonst noch was?«
»Bei allem schuldigen Respekt – nein. Außer Salzfässern, Getreidesäcken und ein paar Fudern Wein. Würzburger Stein. Sozusagen vom Feinsten.« Der Reisige geriet ins Schwärmen. »Nur ein, zwei Becher, Herr, und die Welt sieht gleich wieder anders …«
»Ist Ihm etwa nicht gut, oder was?«, fuhr der Amtmann den Reisigen an. »Schließlich sind wir nicht zum Vergnügen hier!«
»Aber auch nicht dazu, um uns von Euch schurigeln zu lassen!«, fuhr der Hilfsvogt dazwischen. »Und im Namen des Bischofs
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