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Pilger des Zorns

Pilger des Zorns

Titel: Pilger des Zorns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Klausner
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das indes nicht von Dauer war.
    »Zum Schrein der Heiligen Drei Könige in Köln. Und danach nach Santiago de Compostela«, antwortete er, die Kupferpfennige immer noch in der Hand.
    »Jakobspilger?«
    »In der Tat.«
    »Lust auf ein wenig Arbeit an der frischen Luf?«
    Der Koloss machte ein verdutztes Gesicht. »Wieso?«
    »Wieso, wieso, wieso! Ob du dir was dazuverdienen willst, will ich wissen! Bin knapp an Leuten und könnte einen Brocken wie dich gut brauchen.« Der Kapitän hielt inne und sah den Koloss von oben bis unten an. »Ja oder nein?«
    »Meinetwegen.«
    »Dann lass stecken. Wenn du mir zur Hand gehst, ist die Fahrt für dich frei.«
    »Ein großzügiges Angebot.«
    Der Kapitän verzog den Mundwinkel zu einem schiefen Grinsen. »Danke für die Blumen!«, erwiderte er, während das intakte Auge belustigt funkelte. »Ach so, noch was – wie heißt du eigentlich?«, fragte er, während er die Bemühungen des Schiffsjungen mit Stirnrunzeln quittierte.
    »Odo«, antwortete der Koloss ohne zu zögern und wunderte sich, wie glatt ihm die Lüge über die Lippen kam.
    »Und deine Profession?«
    »Hufschmied.«
    »In wessen Diensten?«
    »Den meinigen.«
    »Wie auch immer – auf den Mund gefallen bist du anscheinend nicht.« Im Begriff, sich abzuwenden, hielt der Kapitän plötzlich inne und stöhnte leise auf. Der Koloss sah es mit Erstaunen, vor allem, als seine Hand an die Schulter fuhr. Nach dem Grund zu fragen, wagte er jedoch nicht. Zumal sein Gegenüber so tat, als sei nichts geschehen. »Und weshalb diese Wallfahrerei?«
    »Zur höheren Ehre Gottes – wozu sonst?«
    »Und weshalb noch?«
    Allein schon der Gedanke an die vergangene Nacht trieb dem Komtur den Schweiß auf die Stirn, von demjenigen an ihre Konsequenzen gar nicht zu reden. »Mein Problem!«, antwortete er barsch, um die Erinnerung an die Frau, die ihm das alles eingebrockt hatte, endgültig zu vertreiben.
    »Schon gut, schon gut!« Ganz gegen sonstige Gewohnheiten machte der Kapitän eine beschwichtigende Geste und wandte sich erneut zum Gehen. »Für tiefschürfende Betrachtungen haben wir ja später noch Zeit. Besser, du gehst Jobst ein wenig zur Hand. In längstens einer Viertelstunde legen wir ab. Bis dahin gibt es noch jede Menge zu tun.«
    »Mit wie viel Tagen rechnet Ihr?«
    »Bis nach Köln?«
    Der Koloss nickte.
    »Mit drei bis vier«, antwortete der Lockenkopf, ein hintergründiges Lächeln im Gesicht. »Das heißt, falls nichts mehr dazwischenkommt.«

     
    H
    Bruder Hilpert stützte sich auf die Reling, schloss die Augen und seufzte. Über dem Schiff, auf dem sich mittlerweile ein halbes Dutzend Passagiere befand, schien tatsächlich so etwas wie ein Fluch zu liegen. Nicht einer seiner Mitreisenden spielte mit offenen Karten, und der stiernackige Koloss, bei dessen Anblick man sich wie ein Zwerg vorkam, schien diesbezüglich keine Ausnahme zu machen.
    Der Passagier, der soeben das Deck betreten hatte, war über 30, verschlossen und von kräftiger Statur. So kräftig, dass er es mit drei Männern gleichzeitig aufnehmen konnte. Für sich betrachtet, war das natürlich keine Seltenheit, und starke Männer gab es genug. Bruder Hilpert fuhr mit dem Zeigefinger über die Oberlippe und sah sich verstohlen um. Nein, dieser Recke mit dem Vollbart war anders. Nicht so sehr seine Statur, sondern der Blick, den er ihm im Vorübergehen zugeworfen hatte.
    Ein Blick, der Argwohn hervorrief. Oder einer zum Fürchten. Je nachdem.
    ›Gib mir Kraft, oh Herr, Dinge zu ertragen, die ich nicht ändern kann!‹, stöhnte Bruder Hilpert innerlich auf, wandte sich dem Ufer zu und hob die Hand zum Gruße. Der Hilfsvogt, der sich soeben in den Sattel schwang, winkte zurück, gab seinem Pferd die Sporen und galoppierte davon.
    Auf sich allein gestellt, verließ Bruder Hilpert plötzlich der Mut, und der Impuls, von Bord zu gehen, drohte übermächtig zu werden. Warum er es dann doch nicht tat, war ihm schleierhaft, und als der Schiffsjunge die Leinen losmachte, hätte er sich seiner Torheit wegen ohrfeigen können.
    Die letzte Chance, heil aus dieser Sache herauszukommen, war vertan. Von jetzt an musste er sehen, wo er blieb. Zu dumm, dass Berengar nicht mit von der Partie war. Ohne ihn, den Gefährten gemeinsam durchlittener Gefahren, war er nur die Hälfte wert.
    Für dergleichen Reminiszenzen war dies jedoch nicht der rechte Ort. Und schon gar nicht die Zeit. Bruder Hilperts Körper straffte sich, und er richtete sich ruckartig auf. Die Segel

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