Pilger des Zorns
werte …«
»Liutgard.«
»Hocherfreut, Eure Bekanntschaft zu machen!«, gab Bruder Hilpert zurück, wobei sich sein Ton merklich verschärfte. »Wie gesagt: Eure orientalische Gelassenheit in allen Ehren, aber habt Ihr nicht auch das Gefühl, dass irgendetwas mit dem Mädchen nicht stimmt? Oder haltet Ihr es für normal, dass sie mit gezücktem Dolch auf einen der Passagiere losgegangen ist? Der, gelinde ausgedrückt, dabei um ein Haar zu Schaden gekommen wäre. Von dem höchst merkwürdigen Verhalten, welches Eure Nichte vor dem Auslaufen der ›Charon‹ in Würzburg an den Tag zu legen geruhte, gar nicht zu reden. Wenn das – unter uns gesagt – keine besorgniserregenden Indizien sind, will ich nicht Bruder Hilpert heißen.«
Liutgard holte tief Luft, doch aus der Schimpfkanonade, zu der sie ansetzte, sollte nichts werden. Anstatt ihm die Meinung zu sagen, wozu sie nicht übel Lust gehabt hätte, stützte sie das Kinn auf die Handballen, seufzte gequält und machte ein verdrossenes Gesicht. »Ich weiß nicht, was ich mit dem Kind noch anstellen soll!«, lamentierte sie und stierte dumpf vor sich hin. Bruder Hilpert horchte auf, nicht willens, sich dadurch täuschen zu lassen. Dass Liutgard nicht mit offenen Karten spielte, merkte man sofort. Leider war sie diesbezüglich jedoch an den Falschen geraten. Doch das konnte sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen. »Und ihre Eltern?«, warf Bruder Hilpert unvermittelt ein. »Was ist mit denen?«
»Ihre El…?«, wollte Liutgard erwidern, auf die Frage offenbar nicht gefasst. »Ach so, die meint Ihr! Meine Schwester und ihr Mann sind vor längerer Zeit gestorben.«
»Aha.«
»Marodierende Banden.«
»Soso.«
»Auf der Reise nach Bamberg.«
»Wie bedauerlich.«
Liutgards Blick verfinsterte sich, und ihr Kinn samt Warze begannen, spürbar zu vibrieren. »Glaubt Ihr mir etwa nicht?«, begehrte sie auf und stampfte mit dem Fuß.
»I wo!«, wehrte Bruder Hilpert lächelnd ab, lehnte sich zurück und genoss die Sonne, die ihm das Gesicht erwärmte. »Wo denkt Ihr hin! Und überhaupt: Wie käme ich dazu? Nur eine Frage, nichts weiter.«
»Scheint so etwas wie eine Spezialität von Euch zu sein, Bruder«, schimpfte Liutgard, zusehends verärgert über das Spiel, das Hilpert mit ihr trieb.
»Was denn?«
»Fragen zu stellen, wenn es sich nicht ziemt.«
Um nicht mehr Aufsehen zu erregen als nötig, lenkte Bruder Hilpert ein. »Wenn dem so ist – mein aufrichtiges Bedauern!«, mimte er den Reumütigen, wobei die nächste Frage nicht lange auf sich warten ließ: »Reden wir lieber über Euch, Liutgard – wo kommt Ihr eigentlich her?«
»Aus Ochsenfurt.«
»Eine wahre Perle, in der Tat.«
Sichtlich auf der Hut, konnte sich die Matrone eine neuerliche Attacke nur mit Mühe verkneifen. »In der Tat«, wiederholte sie, raffte ihren karmesinroten Rock und rutschte unruhig hin und her.
»Und Euer Gatte?«
Liutgard holte tief Luft, ließ es jedoch bei diesem Anzeichen aufkeimenden Jähzorns bewenden. »Falls es Euch interessiert – ich bin ledig«, erwiderte sie barsch.
Bruder Hilpert lächelte. »Falls es Euch interessiert –«, konterte er maliziös, »mein Interesse an Frauen ist – wie Ihr Euch sicher vorstellen könnt – eher prosaischer Natur.«
»Glück gehabt, Bruder.«
Bruder Hilpert fuhr herum. Er hatte Richwyn nicht kommen hören, und die Art, wie er in das Gespräch hineingeplatzt war, widerstrebte ihm. »Soll das heißen, Ihr sprecht aus Erfahrung?«, entgegnete er, ein zweideutiges Lächeln im Gesicht.
»Nicht dass ich wüsste«, antwortete der Spielmann und machte es sich neben Bruder Hilpert bequem. »Aber was nicht ist, kann ja noch werden.«
»Stimmt. Zumal es auf dieser Welt von schutzbedürftigen Frauen nur so wimmelt. Je jünger, umso zahlreicher scheint mir diese Spezies zu sein.«
Gerade eben noch die Gelassenheit in Person, sprang Richwyn auf und funkelte Bruder Hilpert wütend an. Liutgard sah es mit Bestürzung, mischte sich jedoch nicht ein. »Was wollt Ihr damit sagen?«, herrschte er ihn an. »Los!«
»Nichts«, gab Bruder Hilpert zur Antwort, rieb den Daumen am Zeigefinger und begutachtete die Finger seiner Hand. »Jedenfalls nichts, das es wert wäre, dass Ihr Euch erhitzt.«
»Wie beruhigend! Und damit Ihr Bescheid wisst, Bruder: Wenn ich mich um Rosalinde kümmere, heißt das noch lange nicht, dass …«
»… Ihr gegenüber dem Mündel dieser überaus ehrenwerten Dame finstere Absichten hegt – ich weiß.
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