Pilger des Zorns
erreichen, hatte der Notarius vorgesorgt. Auf eine Weise, die an Niedertracht ihresgleichen suchte. Gelber Hut, Judenstern und Kaftan: schlimm genug. Da er jedoch obendrein Handeisen trug, konnte er sich nicht einmal wehren. Er war völlig hilflos, dem Mob auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.
Und der ließ sich nicht lange bitten. Alte Rechnungen begleichen, auf Kosten eines Unschuldigen – warum nicht?
Als er den Weg Richtung Würzburger Tor einschlug, war die Stunde des Pöbels gekommen. Der erste Tritt, kurz darauf ein zweiter. Ein Fuhrknecht, der ihn anspuckte. Der Fausthieb eines Kärrners, der ihn um ein Haar zu Boden gestreckt hätte. Beleidigungen, Schmährufe und Lästerungen zuhauf. Und kurz darauf ein Pflasterstein, der ihn nur um Haaresbreite verfehlte. Genug, sollte man meinen, um auch den friedfertigsten Zeitgenossen in Rage zu versetzen. Trotz allem jedoch erst der Anfang.
Als er die Spitalgasse erreichte, gab es kein Durchkommen mehr. Der Ton wurde schärfer, die Zurufe unflätiger. Der zweite Teil der Lektion konnte beginnen. Etwas, womit Isaak nicht einmal in seinen schlimmsten Albträumen gerechnet hatte.
Der Notarius hatte an alles gedacht, in der Tat.
Die drei Halbwüchsigen, die sich ihm in den Weg stellten, verhießen nichts Gutes. Ihr Wortführer, der Vierte im Bunde, noch weniger. Kaum älter als seine Spießgesellen, war er dennoch erheblich kräftiger als sie. Um zu erkennen, was der Rotschopf vorhatte, bedurfte es keiner großen Fantasie. Der Knüppel aus Eichenholz, den er in die Fläche seiner rechten Hand fallen ließ, sprach eine deutliche Sprache. Die hässliche Narbe, die sich quer über seine linke Wange zog, tat ein Übriges. Isaak schluckte, auf alles gefasst. Von diesem Schläger mit dem Wappen der Fischerzunft auf dem Wams hatte er nichts Gutes zu erwarten.
Harmlos ausgedrückt.
Und das sollte sich auch bewahrheiten. Der Rotschopf kam sofort zur Sache. »Bist du Isaak der Giftmischer?«, knurrte er, ließ den Knüppel durch die Luft wirbeln und fing ihn mit einer Hand wieder auf.
»Was meinen Vornamen betrifft, liegst du richtig. Bezüglich des Beinamens nicht.«
»Und weshalb?«, fragte der Rotschopf, bemüht, nach außen hin Gelassenheit zu demonstrieren.
»Weil ich diesbezüglich über keinerlei Erfahrungen verfüge. Beziehungsweise verfügt habe.«
Der Rotschopf schnippte mit dem Finger, woraufhin die drei Halbwüchsigen ihr Opfer wie ein Rudel Hunde einzukreisen begannen. »Soll das etwa heißen, ich bin ein Lügner?«, warf er scheinheilig ein und wies mit dem Zeigefinger auf sich. »Ausgerechnet ich?«
»Gerade du!«, nahm ein Böttchergeselle, der den Ernst der Situation geflissentlich ignorierte, den Ball dankbar auf. Prompt erntete er Gelächter, das jedoch im Nu wieder verstummte. Dies hier war kein Spaß, keine der üblichen Zankereien. Dies hier war blutiger Ernst. Ein Schauspiel, das sich keiner der Anwesenden entgehen lassen wollte.
So auch nicht der Rotschopf, der dem Fassmacher einen wütenden Blick zuwarf. »Wir zwei sprechen uns später!«, rief der dem Böttchergesellen zu. »Und dann geht ’ s dir an den Kragen. Wie diesem Giftmischer da.«
»Auf die Gefahr, dich noch mehr in Wallung zu bringen: Weder bin ich ein Giftmischer noch ein Zinswucherer noch ein …«
»Weiberschänder«, nahm der Fischer Isaak die Worte aus dem Mund. »Klar doch. Dein Pech, dass du in allen drei Anklagepunkten schuldig gesprochen worden bist. Bin gespannt, wie du dich da rausreden wirst.«
»Gott sei mein Zeuge: Mit alldem habe ich nicht das Geringste zu tun.«
»Gott, interessant. Welcher denn?«
Isaak ließ den Kopf hängen und schwieg. Die leidige Geschichte. Der Punkt, an dem sich die Geister schieden. Und wohl auch in Zukunft scheiden würden.
»Mach ’ s Maul auf, Weiberschänder – ich rede mit dir!« Der Griff, mit dem der Rotschopf den Knüppel umklammert hielt, verstärkte sich, und er trat bis auf wenige Zoll an Isaak heran. Der Schläger roch aus dem Mund, ein Gemisch aus Fisch, Zwiebelsuppe und billigem Wein.
»Noch einmal: Mit dem, was man mir vorwirft, habe ich nichts zu tun.«
»Mit anderen Worten: Der Dominikanerpater aus Würzburg, vor dem du dich damals verantworten musstest, hat sich das alles aus den Fingern gesogen.«
Hatte er. In dem, was ihm diese froschäugige, feiste und korrupte Kreatur vorgeworfen hatte, war kein Körnchen Wahrheit gewesen. Isaaks Körper straffte sich, und er sah dem Rotschopf direkt in die Augen. Doch wozu
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