Pilger des Zorns

Titel: Pilger des Zorns Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Uwe Klausner

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seiner Hand, und der Blick des Pilgers mit den Bärenkräften verfinsterte sich.
    Wider Erwarten geschah jedoch nichts Bemerkenswertes, und kurz darauf wandte sich der bärtige Koloss wieder seiner Arbeit zu. Was sich Bruder Hilpert jedoch eingeprägt hatte, war der Blick eines Mannes, der vorgab, auf Pilgerfahrt zu sein.
    Ein Blick voller Häme, Rachsucht und Hass.


    H


    »Komischer Kauz, nicht wahr?«, brach Richwyn das allgemeine Schweigen und sah ihn aus dem Augenwinkel an.
    Bruder Hilpert ging nicht auf die Frage ein. Insgeheim musste er dem Spielmann jedoch recht geben. Der stiernackige Jakobspilger reihte sich nahtlos in die Schar der zwielichtigen Gestalten auf der ›Charon‹ ein.
    »Kann man wohl sagen!«, hielt Liutgard mit ihrer Meinung nicht hinterm Berg, erhob sich und steuerte auf ihre Kajütentür zu. »Was mich betrifft, habe ich einstweilen genug.« In der Absicht, sie zu besänftigen, drehte sich Bruder Hilpert um. Doch dann überlegte er es sich wieder anders, und die Tür fiel hinter Liutgard ins Schloss.
    Allein mit Richwyn, dem mürrischen Koloss und dem Schiffsjungen, der die Szene vom Achterkastell aus beobachtete, meldete sich bei Bruder Hilpert der Hunger zu Wort, und er öffnete seine Reisetasche, um ihn zu stillen. Zum Leidwesen seines Magens, der sich lautstark bemerkbar machte, kam es jedoch nicht dazu. »Harte Schale, weicher Kern!«, hörte er Richwyn, der es sich neben ihm bequem machte, plötzlich sagen. Und kurz darauf hinzufügen: »Doch lasst Euch meinetwegen nicht von Eurer Labsal abhalten, Bruder.«
    »Zu gnädig – verbindlichsten Dank!«, gab Bruder Hilpert kurz angebunden zurück und kramte umständlich in seiner Reisetasche herum. Seit dem Auslaufen hatte er kaum einen Bissen zu sich genommen, ungeachtet des Proviants, mit dem Irmingardis ihn versorgt hatte. Ziegenkäse, Eier und Fladenbrot – Herz, was begehrst du mehr!
    »Warum so zögerlich?«, hakte Richwyn nach. »Hat es Euch etwa den Appetit verschlagen?«
    Drauf und dran, Richwyn eine Abfuhr zu erteilen, packte Bruder Hilpert den Proviant wieder ein, verschnürte die Tasche und richtete sich auf. Fürs Erste war ihm der Appetit vergangen, und er wusste auch, wieso. »Gesetzt den Fall, es wäre so –«, ging er höchst widerwillig auf die Frage ein, »wäre das ein Wunder?«
    Der Sackpfeifer antwortete mit einer Gegenfrage. »Kann es sein, Bruder«, zögerte er seine Antwort absichtlich hinaus, »dass Ihr Euch alles viel zu sehr zu Herzen nehmt?«
    »Danke der Nachfrage. Eure Besorgnis rührt mich fast zu Tränen.« Bruder Hilpert setzte ein gezwungenes Lächeln auf. »Um Euer Gedächtnis ein wenig aufzufrischen: Innerhalb der letzten 24 Stunden ist es zu einer Reihe von Vorfällen gekommen, die, für sich betrachtet, großen Anlass zur Sorge geben. Und wisst Ihr, was mir dabei klar geworden ist?«
    »Nein.«
    »Wirklich nicht?« Die Hände an den Hüften, baute sich Bruder Hilpert vor Richwyn auf. »Dass Ihr, Richwyn – oder wie immer Euer Name ist –, so etwas wie eine Schlüsselfigur seid.«
    Richwyn verschränkte die Arme, lehnte sich zurück und wippte mit seinen Schnabelschuhen hin und her. »Jetzt macht Ihr mich aber neugierig!«, antwortete er von oben herab. »Wenn man Euch zuhört, könnte man meinen, der Weltuntergang stünde kurz bevor.«
    »Das vielleicht nicht.«
    »Und was dann?«
    »Wenn es jemand weiß, dann Ihr.«
    »Sicher?«
    »Wie nie zuvor.«
    Richwyn lachte kurz auf. »Euren Hang zu Unterstellungen in Ehren – aber findet Ihr nicht, das geht ein bisschen zu weit?«
    »Keineswegs.« Über Bruder Hilperts Gesicht huschte ein grimmiges Lächeln. Gute Miene zu bösem Spiel, dachte er, verschränkte die Hände auf dem Rücken und ging an der Reling auf und ab. »Was sich hier und heute zugetragen hat, ist erst der Anfang.«
    »Wovon denn?«
    »Das, lieber Richwyn«, antwortete Bruder Hilpert mit zerfurchter Stirn, »wird sich demnächst herausstellen.«
    »Und wenn nicht?«
    »Dann habe ich mich – wie Ihr bereits anzudeuten geruhtet – mit hoher Wahrscheinlichkeit …«
    Weiter kam Bruder Hilpert nicht.
    Auf dem Vorschiff, genauer gesagt im Schlafzelt, brach die Hölle los. Bruder Hilpert fuhr zusammen, drehte sich auf dem Absatz um und runzelte die Stirn.
    »Mein Wams!«, kreischte eine ihm wohlbekannte Person. Der Klang ihrer Stimme genügte, um seine Antipathie wieder aufleben zu lassen, und wenn ihn nicht alles täuschte, war er mit ihr nicht allein. »Wo bei den Hoden