Pilot Pirx
mußte damit einverstanden sein. Das Jünglingsalter hatte die eigene Unveränderlichkeit zur Regel des Spiels erhoben – nein, zu seiner Voraussetzung: Ich war ein Kind, unerwachsen, jetzt bin ich wirklich ich, und so bleibe ich. Dieser Unsinn war schließlich die Grundlage der Existenz. Entdeckte man die Haltlosigkeit dieser These, so bedeutete das zuerst mehr Erstaunen als Erschrecken. Dieses Gefühl der Entrüstung war so stark, als hätte man eingesehen, daß falsches Spiel mit einem getrieben wurde. Der Endkampf mußte ganz anders sein; nach der Überraschung, dem Zorn, dem Widerstand begannen allmählich Verhandlungen mit dem eigenen Ich, dem eigenen Körper, die etwa so aussahen: Abgesehen davon, wie fließend und unbemerkt wir physisch altern – wir sind nie imstande, diesen Prozeß geistig mitzumachen. Wir legen uns auf fünfunddreißig, dann auf vierzig fest, als sollte es bei diesem Alter bleiben, und bei der nächsten Revision stößt die Zerstörung des Selbstbetrugs auf solchen Widerstand, daß der Impetus einen zu großen Sprung bewirkt. Ein Vierzigjähriger versucht sich also so zu verhalten, wie er sich die Lebensweise eines alten Menschen vorstellt. Haben wir uns einmal in das Unvermeidliche geschickt, fahren wir mit verbissener Wut in diesem Spiel fort, als wollten wir nunmehr den Einsatz verdoppeln: Bitte sehr, wenn es so unverschämt zugeht, wenn diese zynische, grausame Forderung, dieser Schuldschein bezahlt werden muß, wenn ich blechen muß, obwohl ich nicht einverstanden war, nicht wollte, nicht wußte, ich geb dir mehr, als meine Schuld beträgt – nach diesem Prinzip, das komisch klingt, wenn man es so ausspricht, versuchen wir den Gegner zu überlisten. Warte nur, ich werde auf der Stelle so alt, daß du aus der Fassung gerätst. Obwohl wir auf dem absteigenden Ast sind, in der Phase, da wir die Positionen verlieren und abtreten, kämpfen wir im Grunde noch weiter, denn wir leisten der Wirklichkeit Widerstand, und diese seelische Anspannung bewirkt, daß wir sprunghaft alt werden. Hier Überlastung, da Versagen, bis wir einsehen, meistens zu spät, daß dieser ganze Kampf, dieses selbstzerstörerische Ringen, diese Retiraden und Boutaden auch unseriös waren. Denn beim Altern sind wir wie die Kinder, das heißt, wir verweigern unsere Zustimmung zu einer Sache, die unserer Zustimmung von vornherein nicht bedarf, da, wo es keinen Platz gibt für Streit oder Kampf – der noch dazu auf Illusionen beruht. Der Schattenstrich ist noch kein Memento Mori, aber ein in mehrfacher Hinsicht schlimmer Ort, denn von hier aus kann man bereits sehen, daß es keine unberührten Chancen gibt. Das heißt, das Jetzt ist keine Ankündigung, kein Warteraum, keine Einleitung, kein Trampolin großer Hoffnungen, denn die Situation hat sich unmerklich gewandelt. Das vermeintliche Training war unwiderrufliche Wirklichkeit; die Einleitung – der eigentliche Inhalt; die Hoffnungen – Hirngespinste; das Unverbindliche aber, das Provisorische, das Vorübergehende – alles, was das Leben ausmacht. Nichts von dem, was sich nicht erfüllt hat, wird sich noch erfüllen; und man muß sich schweigend damit abfinden, ohne Angst und wenn es geht auch ohne Verzweiflung.
Es ist ein kritisches Alter für Kosmonauten, kritischer als für andere Menschen, denn in diesem Beruf kann jeder, der nicht vollkommen fit ist, von heute auf morgen zum alten Eisen geworfen werden. Wie die Physiologen bisweilen sagen, sind die Anforderungen, die die Raumfahrt stellt, selbst für solche zu hoch, die körperlich und geistig vollkommen gesund sind. Wenn man nicht mehr zur Spitze gehört, verliert man alles auf einmal.
Die Ärztekommissionen sind rücksichtslos – ein Umstand, der für den einzelnen niederschmetternd, aber unumgänglich ist, denn sie können nicht zulassen, daß einer am Steuer stirbt oder einen Unfall hat. Scheinbar im Vollbesitz seiner Kräfte geht man von Bord und sieht sich plötzlich am Ende; die Ärzte sind an Ausflüchte und verzweifelte Dissimulation so gewöhnt, daß niemand, der dabei ertappt wird, moralische oder disziplinarische Konsequenzen zu fürchten hat. Fast keiner kann über das fünfzigste Lebensjahr hinaus im aktiven Dienst bleiben. Überanstrengung ist der größte Feind des Gehirns. Vielleicht wird sich das in hundert oder in tausend Jahren ändern; im Augenblick ist diese Perspektive während der Monate des Fluges eine Qual für jeden – der im Schattenstrich steht.
Klyne hatte der nächsten
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