Pilot Pirx
Stunden vor der Linse verbracht und auf einen Augenblick unbewegter Atmosphäre gewartet, um dann auf der nebliggrauen Scheibe ein haarfeines, scharfes geometrisches Netz zu entdecken; Lowell hatte es enger skizziert, Pickering weiter, der aber hatte Glück gehabt mit der »Gemination«, wie die erstaunliche Verdoppelung der Kanäle genannt wurde. Hatte man es mit einer Täuschung zu tun? Aber warum wollten sich bestimmte Kanäle nie verdoppeln? Als Kadett hatte er im Lesesaal über diesen Büchern gebrütet, denn solche Antiquitäten wurden grundsätzlich nicht ausgeliehen.
Pirx stand – muß das eigentlich noch gesagt werden? – auf der Seite der »Kanalisten«. Ihre Argumente erschienen ihm unumstößlich: Graff, Antoniadi, Hall, die bis zum Schluß ihre Rolle als ungläubiger Thomas gespielt hatten, waren auf die verräucherten Observatorien im Norden angewiesen, mit ewig bewegter Atmosphäre; Schiaparelli dagegen hatte in Mailand gearbeitet und Pickering auf seinem Berg hoch über der Wüste Arizonas. Die Antikanalisten hatten sinnreiche Experimente unternommen: Sie ließen die Scheibe mit unordentlich aufgetragenen Punkten und Klecksen zeichnen, die sich bei größerer Entfernung zu etwas Ähnlichem wie einem Kanalnetz zusammenfügten, und fragten dann: warum sind sie auch mittels stärkster Instrumente nicht zu sehen? Warum kann man die Mondkanäle auch mit bloßem Auge erkennen? Warum hatten die ersten Beobachter keinerlei Kanäle gesehen? Warum galten sie seit Schiaparelli als zuverlässig existent? Und die anderen hatten geantwortet: Bevor es Teleskope gab, hat auch auf dem Mond niemand Kanäle gesichtet. Große Teleskope erlaubten es einem nicht, mit voller Öffnungsblende zu arbeiten, mit maximalen Vergrößerungen, denn die Erdatmosphäre ist nicht ruhig genug; die Experimente mit den Zeichnungen sind also ein Ausweichmanöver ... Die »Kanalisten« hatten auf alles eine Antwort parat. Der Mars, das war ein riesiger, gefrorener Ozean, und die Kanäle nichts anderes als Risse in seinen Eismassen, die sich unter Meteoreinschlägen aufgetan hatten – nein, die Kanäle waren breite Täler, durch die im Frühjahr das Tauwasser floß und an deren Ufern sich dann die Marsflora entfaltete. Die Spektroskopie machte auch durch diese Rechnung einen Strich: Sie förderte zuwenig Wasser zu Tage. Also betrachtete man die Kanäle nunmehr als riesige Einstürze, als lange Täler, in denen sich vom Pol zum Äquator Wolkenmassen dahinwälzten, angetrieben von Konvektionsströmen. Schiaparelli hatte niemals zugeben wollen, daß es sich um Schöpfungen eines fremden Verstandes handelte; er nutzte die Zweideutigkeit des Terminus »Kanal« aus. Diese Schamhaftigkeit hatte der Mailänder mit vielen anderen Astronomen gemeinsam; sie nannten die Dinge nicht beim Namen, sie zeichneten nur Karten und veröffentlichten sie; aber Schiaparelli hatte in seinen Papieren Zeichnungen hinterlassen, aus denen hervorging, wie es zu dieser Verdoppelung, dieser berühmten Gemination kommen konnte: Wenn in parallel verlaufende, ausgetrocknete Betten Wasser eindrang und anschwoll, dann verschwammen plötzlich die Umrisse, so als füllte man Holzkerben mit Tusche aus ... Die Gegner wiederum leugneten nicht nur die Existenz von Kanälen, häuften nicht nur Gegenargumente auf, sondern schienen mit der Zeit einem immer heftiger brennenden Haß zu verfallen. Wallace, nach Darwin der zweite Schöpfer der natürlichen Evolutionstheorie, der den Mars wohl nie durch ein Glas beobachtet hatte, war mit einem hundert Seiten starkem Pamphlet gegen die Kanäle und gegen jeden Gedanken an Leben auf dem Mars zu Felde gezogen; der Mars, so hatte er geschrieben, ist nicht nur von intelligenten Wesen bewohnt, wie das Herr Lowell behauptet, sondern er ist absolut unbewohnbar.
Es gab keine Lauen unter den Areologen; jeder mußte sein Credo eindeutig formulieren. Die nächste Generation der »Kanalisten« begann schon von einer Marszivilisation zu sprechen, und die Gegensätze wurden immer größer. Ein lebenerfüllter Raum, der von der Arbeit vernunftbegabter Wesen zeugt, sagten die einen – ein öder, verwüsteter Leichnam, entgegneten die anderen. Dann entdeckte Saheko die geheimnisvollen, in den aufziehenden Wolken erlöschenden Blitze, die für Vulkanausbrüche zu kurz waren und nur bei Konjunktion der Planeten auftraten, was also auch eine Sonnenreflexion im Eismassiv der Berge ausschloß. Das war noch vor der Freisetzung der Atomenergie, so daß der
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