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Pilze für Madeleine

Pilze für Madeleine

Titel: Pilze für Madeleine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Hermanson
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Ort für Naturbeobachtungen und idyllische Sonntagsspaziergänge. Er ist auch ein idealer Tatort.
    Wie jede richtige Mutter empfängt der Wald alle seine Kinder und schützt und versteckt sie in seinem großen Schoß, ohne Unterschied. Und manche haben mehr Grund, sich zu verstecken, als andere. Der Wald ist das Zuhause der Räuber, der Diebe und der Vogelfreien. Wo setzen die Junkies sich ihren Schuß? Wo rauchen kleine Jungs die erste verbotene Zigarette? Wo lauern Exhibitionisten und Vergewaltiger auf ihre Opfer? Ja, in den Parks der Städte und in den Wäldchen der Vororte. Sobald ein paar Bäume zusammenstehen, kann man sicher sein, daß etwas Finsteres dort geschieht.
    Während unserer langen Pilzausflüge nahmen Vater und ich oft ein Picknick ein. Meistens war Vater dafür zuständig. Aber in einem unbeobachteten Moment könnte ich sein Brot aus dem Rucksack nehmen und etwas Höhlenpilz über das beidseitig gebratene Ei gleiten lassen. (Genau wie Vater einmal gedroht hatte, seinen Klassenkameraden zu vergiften. Da kann man mal sehen. Auch das hatte ich von ihm gelernt.)
    Wenn es so schnell ginge wie bei Madeleine, wäre er nach ein paar Stunden bewußtlos. Ich würde dafür sorgen, daß es in einem unzugänglichen Teil des Waldes geschah. (Es gab Stellen, da kam monatelang niemand hin.) Ich würde ihn dort liegenlassen und ihn dem Fuchs und den Krähen überlassen. Niemand würde ihn vermissen. Wenn jemand nach ihm fragte, würde ich erzählen, daß er in Frankreich ist.
    Sollte man ihn irgendwann doch finden, dann wäre so wenig von ihm übrig, daß man die Todesursache kaum mehr feststellen könnte. Und sollte man Spuren von Pilzgift finden, so wäre es unmöglich zu beweisen, daß ich es war.
    Es bestand aber auch die Möglichkeit, daß er nie gefunden wurde. Daß er sein Grab tief ihm Wald fand.
    Er wäre einfach verschwunden. Irgendwann würde ich es melden. Schließlich würde man ihn für tot erklären, ich würde sein Vermögen erben und es für wohltätige Zwecke spenden.
    Das war der Plan, den meine wirren, rastlosen Gedanken schmiedeten. Aber er konnte erst im September ins Werk gesetzt werden, wenn Vater wieder nach Hause kam. Wie sollte ich nur so lange warten?
    Ich lief im Kreis durch den Wald. Es war naß und kalt, aber ich glühte vor Rache. Ich sprach laut mit mir selbst und schlug mit der Faust gegen die Tannenstämme.
    So im nachhinein muß ich sagen, daß ich ein bißchen wahnsinnig war.
    Es wurde Frühling. Die Bäche wurden zu schäumenden kleinen Strömen. Gelbe Pollen bedeckten die schwarzen Flächen der Seen, die Tannen bekamen hellgrüne Spitzen, die ich kaute und dann wieder ausspuckte. Sie schmeckten säuerlich und bitter wie Zitronenschalen, hatten jedoch eine belebende Wirkung.
    Und dann wurde es auch warm. Der Wald explodierte in allen Grüntönen, die Vögel sangen am Morgen wie verrückt. Ich schlief bei offenem Fenster, aber im Morgengrauen mußte ich aufstehen und es schließen, weil die Vögel einen solchen Lärm machten. Ich konnte meine üblichen Wege nicht mehr gehen. Im Frühsommer ist der Wald mit seinen Gerüchen, seinem Schattenspiel, seinem Vogelgezwitscher und dem vielen Grün für alle Menschen verwirrend. Für einen, der depressiv ist, nach Rache dürstet und ein klein wenig den Verstand verloren hat, ist es jedoch kaum auszuhalten.
    Ich floh also in den Teil des Waldes, wo die Tannen so dicht stehen, daß kein Sonnenstrahl hindurchdringt und weder Moos noch Gras wächst. Ich hockte mich zwischen die untersten nackten Zweige, die wie Speere rechtwinklig aus den Stämmen standen. Dann legte ich mich auf braune Nadeln und starrte in dieses merkwürdige Dunkel, das an einem Sommertag unter Tannen herrschen kann.
    Ich lauschte dem Rascheln eines Käfers und dem Klopfen eines Spechts. Und ich dachte: »Hier liege ich gut. Ich gehe nicht mehr weg. Ich schlafe ein und bleibe hier liegen, dies wird mein Grab.«
    Aber dann fiel mir wieder ein, daß ja mein Vater sein Grab im Wald finden sollte und nicht ich. Der Gedanke an meine Rache gab mir neue Kräfte, ich rappelte mich hoch und ging nach Hause.
    Ich blieb am Briefkasten stehen und schaute reflexartig hinein, obwohl fast nie Post für mich kam, seit ich meine Abonnements gekündigt hatte.
    Da lag ein Päckchen. Ich öffnete es. Im Päckchen lag ein kleineres, das in Goldpapier eingewickelt war. Natürlich, ich hatte ja Geburtstag.
    Ich riß das Goldpapier ab und fand eine Streichholzschachtel.
    In der

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