Pilze für Madeleine
einen Wald voller Trüffel. Komm mit mir nach Frankreich. Das würde dir guttun, Gunnar.«
Plötzlich wallte ein Zorn in mir auf, wie ich ihn noch nicht erlebt hatte. Das fühlte sich ganz anders an als meine sonstige Wut.
Ich stürzte mich auf meinen Vater, packte ihn am Kragen und schüttelte ihn heftig. Er verlor den Boden unter den Füßen und fiel hin.
Ich drückte ihn mit den Unterarmen am Hals gegen einen Baumstamm. Er starrte mich mit vor Schreck geweiteten Augen an. Sein Blick flackerte, er suchte verzweifelt einen Fluchtweg. Ein kleines listiges Tier war in eine Falle geraten.
Mein Mund war nur wenige Millimeter von seinem Gesicht entfernt, und ich fauchte:
»Du feiges Aas. Ich werde dich töten. Du feiges, schleimiges Aas.«
Sein nach oben gedrücktes Kinn zitterte, er wollte etwas sagen, aber ich drückte den Arm noch fester an seinen Hals, bis er still war und man das Weiße in den Augen sah. Durch den Jackenärmel spürte ich, wie sein Puls raste. Mein Gott, was für eine Angst er hatte.
Dann ließ ich ihn los. Er fiel am Fuß der Kiefer zusammen wie ein nasser Sack. Ohne ein Wort drehte ich mich um und ging.
Es war noch nicht an der Zeit. Es war die falsche Gelegenheit.
Es war nicht die richtige Art und Weise.
21
Spätwinter. Nebel und Hundegebell. Ich befand mich in einem absoluten mentalen Tief. Ich streunte durch den Wald oder lag in der Kate auf meinem Bett. Das Geld wurde knapp. Vater schickte mir aus Frankreich Postanweisungen, aber ich löste sie nicht ein. Ich wollte nichts von ihm annehmen. Das letzte Ersparte gab ich für Essen und Benzin aus.
Einmal in der Woche fuhr ich in den Supermarkt. Ich kam früh am Morgen, denn ich wollte nicht auf Agneta Bengtsson oder andere Bekannte treffen. Ich kaufte billiges Zeug: Nudeln, Fischklopse, Blutpudding. Ich kaufte nie Hackfleisch, obwohl es oft im Sonderangebot war. Hackfleisch verursachte mir Übelkeit, seit Vater mir erzählt hatte, wie er die Wirkung des Höhlenpilzes getestet hatte: er hatte ihn in einen Klumpen Hackfleisch versteckt, den er Utboms ausgehungertem Hund hinwarf.
Ich kündigte das Abo meines Männermagazins. Auch Frauen verursachten mir Übelkeit. Ich war nur einziges Mal mit einer Frau im Bett gewesen, und dabei war sie gestorben. »Was ich anfasse, stirbt«, dachte ich. »Besser, ich halte mich von den Leuten fern.«
Ich lief durch den Wald, die Gedanken drehten sich in meinem Kopf. Es war ein merkwürdiger Winter, der Schnee kam und ging, der Wald war naß und schwer, als hätte ihn jemand im See versenkt und wieder herausgezogen.
Es roch auch eigenartig. Wenn ich an Utboms Haus vorbeikam, hatte ich das Gefühl, daß es nach verdorbenem Fleisch roch. Ich bildete mir ein, daß es von dem Klumpen Hackfleisch kam, aber das roch schließlich nicht ewig.
Der neue Hund bellte, lange bevor ich in die Nähe des Hauses kam. Er hatte seinen Job jetzt gelernt. Der Hunger, die Isolation und die schlechte Pflege hatten ihre Wirkung getan. Jetzt war er genau wie sein Vorgänger: Mißtrauisch. Wütend. Hellhörig wie eine Radaranlage.
Ich betrachtete den eigenartigen Holzstoß. Im Nebel glich er einem aufrecht stehenden Tyrannosaurus. Ich hatte noch nie gesehen, daß jemand Holz auf diese Art aufstapelte. Es wirkte unordentlich und wie hingeworfen. Und doch mußte es ein System geben. Eine geheimnisvolle, berechnete Ordnung. Sonst wäre ja alles zusammengefallen.
Wie viele Bäume da wohl lagen? Tausende? Was dachte Einar Utbom, wenn er ein Stück Holz auf seinen Hackklotz legte und es mit seiner Axt spaltete?
Es war über fünfzig Jahre her, und immer noch sickerte die Angst aus den Wänden, dem Haus und dem Boden, wie die Verunreinigungen aus einer stillgelegten Giftfabrik. Ich spürte sie. Und der Hund spürte sie auch.
Als ich ein paar Schritte auf den Hof zu machte, reagierte der Hund mit einem blitzschnellen Ausfall, er erwürgte sich fast, als er das Ende der Laufleine erreicht hatte. Das Fell sträubte sich, und die Ohren lagen an. Es war gespenstisch, wie sehr er dem alten Hund glich. Hätte ich nicht gewußt, daß es ein neuer war, ich hätte keinen Unterschied bemerkt.
Ja, ich ging durch den Wald, in feuchter Kälte und kaltem Nebel, die Nässe drang durch die Kleider, und die Gedanken wirbelten in meinem Kopf umher. Ich plante meine Rache an meinem Vater. Die Waffe war klar, Vater hatte sie mir selbst in die Hand gegeben: Höhlenpilz.
Der Ort war auch klar: Der Wald.
Denn der Wald ist bekanntlich nicht nur ein
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