Pilzsaison: Tannenbergs erster Fall
uns in die Irre mit völlig erfundenen Behauptungen!«
»Wieso?«, fragte die eingeschüchterte Frau.
»Weil Sie uns gesagt haben, dass Gisela Stein an dem Tisch mit Frau Kannegießer und Frau Müller gesessen hat. Aber Frau Stein war überhaupt nicht bei diesem Betriebsausflug dabei, um den es hier geht!«
»Wie erklären Sie sich das, Sie Superzeugin?«, schrie Tannenberg.
Frau Krämer sank noch mehr in sich zusammen. »Da hab ich mich wohl vertan«, stammelte sie.
»Und wie! Sie haben uns mit Ihrem Blödsinn total in die Irre geführt und uns bei der Suche nach dem Frauenmörder wertvolle Zeit geraubt!«, echauffierte sich der Leiter des K 1 weiter.
»Das war dann wahrscheinlich bei einem anderen Betriebsausflug gewesen. Aber an die Sache mit dem verrückten Mann erinnere ich mich wirklich!«, sagte Frau Krämer und nahm ihr Weinglas in die Hand.
»Hören Sie endlich auf zu saufen! Erinnern Sie sich! Los schließen Sie die Augen und denken Sie nach!«, stauchte Kommissar Schauß die Frau zusammen. »Denken Sie sich in die Situation hinein: Sie stehen in irgendeiner Wirtschaft am Tresen und trinken etwas. Dann hören Sie plötzlich, wie ein Mann laut ›Ihr verdammten Schlampen‹ oder so was Ähnliches ruft. Sie drehen sich zu ihm um. Und wen sehen Sie außer Frau Kannegießer und Frau Müller an diesem Tisch?«
Man konnte deutlich sehen, dass die Gescholtene sich redlich Mühe gab, ihr mit dicken Nebelschwaden verhangenes Erinnerungsvermögen auf Trab zu bringen. Aber es gelang ihr nicht. Wie ein Häufchen Elend saß sie zusammengekauert auf dem Sofa und begann zu weinen.
»Herr Kommissar«, jammerte sie zu Tannenberg gewandt. »Es fällt mir einfach ums Verrecken nicht ein! Was soll ich denn nur machen?«
»Sie sind jetzt völlig blockiert. Das Beste ist, Sie hören jetzt mit diesen Konzentrationsversuchen auf und versprechen mir, jede halbe Stunde die Augen kurz zu verschließen und intensiv darüber nachzudenken, wer noch an dem Tisch saß. Und dann rufen Sie uns sofort an!«
»Versprochen, Herr Kommissar«, entgegnete Frau Krämer erleichtert.
»Wenn Sie damals auch betrunken waren, wie können Sie dann überhaupt sicher sein, dass außer den beiden Frauen noch jemand an dem Tisch saß?«, provozierte Schauß, der anscheinend weniger Mitleid als sein Kollege mit der Frau hatte.
»Bin ich mir aber! Ich bin ja nicht blind geworden von den paar Gläsern!«, giftete sie zurück.
»Wissen Sie was, Frau Krämer, wir benachrichtigen jetzt eine nette Kollegin; und die hilft Ihnen dann dabei, Ihr Gedächtnis wieder in Gang zu bringen«, sagte Tannenberg ruhig und wies seinen jungen Kollegen an, umgehend per Handy Kontakt mit der Kriminalpsychologin aufzunehmen, um sie hierher zu beordern.
»Nach dem Gestank in dieser Wohnung und dem ganzen Frust mit unserer Superinformantin brauch ich dringend ein bisschen frische Luft. Komm, fahr mal hoch auf den Kaiserberg«, forderte Tannenberg, als das Zivilfahrzeug vor der roten Ampel an der Mainzerstraße zum Stillstand kam.
»Unsere Superinformantin! Mann oh Mann, was für ein Wahnsinn. Jetzt dachte ich wirklich, wir hätten endlich eine heiße Spur. Und dann dieses Fiasko: Nichts als heiße Luft!«
»Na ja, vielleicht bringt sie ja die Glück-Mankowski dazu, sich zu erinnern.«
»Wenn’s überhaupt was zu erinnern gibt.«
»Wie? Glaubst du, dass die Frau sich möglicherweise die ganze Sache nur ausgedacht hat? Vielleicht nur, um sich aufzuspielen – oder wegen der saftigen Belohnung?«
»Wolf, ich weiß es doch wirklich nicht!«
»Ich auch nicht!«, stimmte Tannenberg resigniert zu, kurz bevor er mit seinem Kollegen auf dem Parkplatz oberhalb des Gartenschaugeländes den Dienstwagen verließ.
Die beiden Kriminalbeamten vertraten sich ein wenig die Beine und nahmen dann auf einer mausgrauen Kunststoffbank Platz. Von diesem Aussichtspunkt hier oben auf dem höchsten Punkt des Neumühlenparks hatte man einen einzigartigen Blick über das in einer breiten Senke ausgerollte Stadtgebiet.
Die Nacht hatte gerade damit begonnen, sich ihr diamantbesetztes, funkelndes Schlafgewand überzustreifen. Mit Hilfe ihres altbewährten Helligkeitsreglers drehte sie das Tageslicht langsam zurück. Die sich hinter der Stadt stolz auftürmenden Bergrücken wurden von der fortschreitenden Abenddämmerung in immer dunklere Farben getaucht. Mehr und mehr Lichtpunkte leuchteten in der Stadt auf. Links neben dem Humbergturm, dessen Silhouette sich noch recht deutlich von dem
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