Pilzsaison: Tannenbergs erster Fall
sich nach dem Weg erkundigen konnten – aus purer Aversion gegenüber Kreilinger, dessen Hinweis er absichtlich ignorierte.
Die grobe Beschreibung des Försters hätte allerdings ausgereicht, denn nachdem sie kurz hinter dem Ortsschild nach rechts abgebogen waren, führte sie die Straße automatisch ins Hochspeyerer Neubaugebiet. Das Haus der Familie Müller war einfach zu finden, es befand sich gleich am Anfang einer mit breiten Pflanzkübeln und buntmarkierten Parkbereichen getupften Spielstraße.
Als die beiden gestandenen Kriminalbeamten die kleinen roten und grünen Gummistiefelchen neben der Holztür stehen sahen, blickten sie sich vielsagend an, nickten gleichzeitig mit den Köpfen und stellten somit die wortlose Übereinkunft her, dass es nun an der Zeit war, die Restfamilie mit der traurigen Gewissheit zu konfrontieren, dass fortan nichts mehr so sein würde, wie es einmal war.
Nachdem Schauß tief durchgeatmet hatte, läutete er. Kurze Zeit später öffnete sich langsam die Tür und am Rahmen erschienen zuerst zwei Kinderhände, dann die ganze winzige Erscheinung, die von ihrem noch kleineren Bruder von hinten geschoben wurde. Zwei strahlende Augenpaare blickten den beiden Ermittlern neugierig entgegen. Schauß war wie gelähmt. Er brachte keinen Ton heraus. Obwohl er ebenfalls einen dicken Klos im Hals verspürte, reagierte Tannenberg geistesgegenwärtig und erklärte dem kleinen Mädchen, dass sie Freunde ihres Vaters seien und ihn zu sprechen wünschten.
Wenige Augenblicke später erschien ein von den Ereignissen sichtlich mitgenommener Mann, dem man sofort anmerkte, dass er nicht bereit war, der Mitteilung seiner Tochter Glauben zu schenken. Wie wenn sie es eintrainiert hätten, zeigte Schauß dem Familienvater verdeckt seinen Polizeiausweis, während Tannenberg niederkniete und die Kinder mit den gerade gekauften Jugendherbergskarten abzulenken versuchte.
»Haben Sie jemanden, zu dem Sie die Kinder schicken können?«, hatte Schauß gerade gefragt, als eine kräftige ältere Frau in den Flur trat.
Sofort begriff sie die Situation. »Ich gehe mit den Kindern rüber zu Opa.«
»Danke, Mutter!«, sagte der Mann mit belegter Stimme und geleitete Schauß ins Wohnzimmer.
»Herr Müller, wir müssen Ihnen leider eine traurige Mitteilung machen: Ihre Frau wurde heute Mittag tot aufgefunden. Mein herzliches Beileid.«
Der Mann wurde nun noch bleicher, als er es sowieso schon war. Schauß hatte den Eindruck, dass jetzt auch noch der letzte Blutstropfen sein Gesicht verlassen und sich in tiefere Körperregionen zurückgezogen hatte. Zusammengekauert saß er völlig apathisch auf einem Sessel, schüttelte in einem fort den Kopf und stammelte litaneienartig »Wie soll das jetzt bloß weitergehen?«
»Mein Beileid, Herr Müller. Entschuldigen Sie, können wir Ihnen ein paar Fragen stellen? Wir machen’s auch so kurz wie möglich«, versprach Tannenberg, der sich inzwischen ebenfalls im Wohnzimmer der Familie eingefunden hatte.
»Fragen Sie … Muss ja wohl sein.«
»Wann haben Sie Ihre Frau zum letzten Mal gesehen?«
»Gestern Abend.«
»Gestern Abend?«, wiederholte Tannenberg.
»Ja … Als sie joggen ging«, antwortete Herr Müller mit tränenerstickter Stimme.
»Wann war das?«
»Um 18 Uhr.«
»Lief sie immer dieselbe Strecke?«
»Ja, immer. Hoch zur Jugendherberge und dann über den alten Trimm-dich-Pfad zurück zu unserem Haus«, sagte der Mann mit zitternden Lippen.
»Was haben Sie gemacht, als Sie nicht zurückgekommen ist?«, wollte Schauß wissen.
»Ich bin erst alleine ihre Laufstrecke abgerannt … Und dann hab ich Freunde, Nachbarn und die Feuerwehr alarmiert, und dann haben wir alles abgesucht, bis es dunkel wurde. Ich hab die halbe Nacht noch weiter nach ihr gesucht. Sie aber nicht gefunden!« Dicke Tränen schossen aus seinen geröteten, glasigen Augen und liefen auf beiden Seiten über die Wangen hinunter bis zum Kinn. »Und heute Morgen sind wir nochmal raus. Aber wir haben sie nirgends gefunden. Oh Gott, oh Gott!«
Als sich nach einiger Zeit der bitterlich weinende Familienvater wieder etwas beruhigt hatte, bat Kommissar Schauß ihn um ein Foto seiner Frau. Während der Mann irgendwo im Haus herumschlich, verständigten sich die beiden Kriminalbeamten auf einen Abbruch der Befragung.
»Danke, Herr Müller, wir lassen Sie jetzt gleich in Ruhe. Sie haben ja jemand, der sich um Sie und die Kinder kümmert«, bemerkte Kommissar Schauß, nachdem der Mann ihm schluchzend eine
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