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Pilzsaison: Tannenbergs erster Fall

Pilzsaison: Tannenbergs erster Fall

Titel: Pilzsaison: Tannenbergs erster Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Franzinger
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unglaublich!, ereiferte sich Tannenberg und wendete sich angewidert ab.
    Direkt neben sich entdeckte er einen altmodischen Zeitungsständer, an dem die zwischen Holzstöcken eingeklemmten Tageszeitungen wie Fledermäuse von der Decke hingen. Ohne darüber nachzudenken nahm er sich eine Frankfurter Allgemeine , die ihn vor allem deshalb optisch ansprach, weil auf der unbebilderten Titelseite nicht ein Artikel über seinen Mordfall zu finden war. Aber auch bei dieser oberflächlichen Lektüre blieb er nicht von Mord und Totschlag verschont. Das dachte er zumindest, als er die Schlagzeile ›Viel Wirbel um Tod eines Kritikers‹ las. Doch nachdem er ein wenig in dem Artikel gestöbert hatte, wurde ihm schnell klar, dass es um das neue Buch von Martin Walser und einen daraus abgeleiteten Antisemitismusvorwurf ging. Wenn er den Zeitungstext richtig verstanden hatte, handelte es sich bei dem Roman um eine Geschichte über den vermeintlichen Tod eines Literaturkritikers, der sich später nicht als Mord, sondern als mediengerechte Selbstinszenierung eines Profilneurotikers herausstellte.
    Das wäre wirklich die mit Abstand beste Lösung meines Falls, dachte er: Alles nur eine Inszenierung! Die Frauen wären gar nicht tot, es gäbe keinen Serienmörder und keine SOKO und …
    »Oh Scheiße! So eine Sauerei!«, schrie Tannenberg plötzlich und zwar so laut, dass viele der Cafégäste sofort ihren Kopf in seine Richtung drehten. Sogar einige Passanten blieben stehen und blickten interessiert zu ihm hin.
    »Was gaffen Sie denn alle so, hat Ihnen noch nie eine Taube in den Kaffee gekackt?« schimpfte er wütend.
    Oben auf seinem schon der Sahnekrone beraubten Capuccino schwamm dicker Taubendreck und sein Hemd war mit einigen Kaffeespritzern besudelt. Ohne nachzudenken zog er sein von unübersehbaren Gebrauchsspuren gezeichnetes Taschentuch aus der Hose und begann hektisch, damit sein Hemd und die kleine runde Tischplatte vor ihm abzutupfen. Ein junger Kellner schaltete blitzschnell, zückte sein über der Schulter abgelegtes Serviertuch, wischte den Tisch ab und entsorgte die Kaffeetasse.
    »Tachchen, Tannenberg, wie geht’s uns denn heute Morgen?«, hörte er plötzlich eine wohl bekannte Stimme.
    »Guten Morgen, Frau …«, war alles, was er spontan herausbrachte.
    »Sagen Sie doch einfach Eva zu mir. Wir machen das so wie in den Staaten. Da reden sich auch alle mit ihrem Vornamen an, egal welche Position sie in einer Hierarchie einnehmen«, unterbrach die Profilerin und plapperte munter weiter drauflos. »Ich weiß schon, dass mein Doppelname bei manchen Männern spontane Aversionen auslöst, schließlich hab ich mich während meines Studiums ziemlich intensiv mit der Psychologie der Geschlechter beschäftigt. Aber sagen Sie mal ehrlich: Hätten Sie so einfach auf Ihren Geburtsnamen ›Glück‹ verzichtet?« Sie beantwortete selbst die gestellte Frage: »Natürlich nicht! Ein Name mit solch wunderbaren Konnotationen? Nein, das hätten Sie auch nicht gemacht!«
    Da war schon wieder dieses Wort, das ihn sofort an seinen Bruder und die Sache mit den abgeänderten Vornamen erinnerte.
    Tannenberg benötigte umgehend eine Idee, wie er sich einigermaßen konfliktlos von dieser aufdringlichen Person befreien konnte, die sich gerade für einen längeren Aufenthalt an seinem Tisch einzurichten schien. »Frau Kollegin, ich muss leider dringend los. Meine Mutter wartet auf die Einkäufe – und schließlich haben wir ja …« Tannenberg schaute hoch auf die goldenen Zeiger der Kirchturmuhr, »in zwei Stunden Besprechung.«
    Dann kramte er Münzen aus seinem Geldbeutel, legte drei Euro auf den Bistrotisch, schnappte sich die vollgepackten Jutetaschen und entfloh hektisch dem Trubel des Straßencafés in Richtung Beethovenstraße, allerdings nicht ohne vorher etwas Kleingeld in den aufgeklappten Instrumentenkoffer der jugendlichen Gitarrespieler zu werfen.
     
    »Wolfi, wo bleibst du denn so lange? Du weißt doch, dass ich das Gemüse brauche. Wie soll denn sonst die Suppe rechtzeitig fertig werden?«, empfing Margot Tannenberg vorwurfsvoll ihren Sohn.
    Plötzlich stand Marieke in der Tür. Völlig verheult und in sich zusammengesunken wie ein Häufchen Elend. Sie zitterte am ganzen Körper. Die Tränen hatten die schwarze Farbe des Lidstrichs um die Augen herum und auf den Wangen verteilt. Beide Hände und ihr linker Arm waren von blutenden Hautabschürfungen gezeichnet.
    »Komm, setz dich erst mal hin«, sagte Tannenberg und führte sie

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