Pilzsaison: Tannenbergs erster Fall
Denkfähigkeit und unsere Kreativität.« Dann unterbrach sie plötzlich ihren Wortschwall, weil sie einen ihr unbekannten Mann erspäht hatte. »Wer sind Sie denn eigentlich? Sie könnten ja glatt als Tannenbergs Bruder durchgehen!«, meinte die Profilerin einen Gag zu landen.
»Ich bin’s!«
»Was sind Sie?«, fragte Dr. Glück-Mankowski ungläubig.
»Ganz einfach: Ich bin sein Bruder – Heiner Tannenberg.«
»Entschuldigen Sie, wenn ich dieses nette Plauderstündchen mit meinen kritischen Bemerkungen unterbreche«, warf der Oberstaatsanwalt polemisch ein. »Aber, wenn ich Sie beiläufig an etwas erinnern dürfte: Wir befinden uns hier in den Räumen einer Mordkommission. Und da hat selbst der Bruder eines leitenden Kriminalbeamten nichts verloren. Was wollen Sie überhaupt hier? Sie können doch auch zu Hause Kaffee trinken, oder?«
»Was soll denn das schon wieder? Mein Bruder ist quasi dienstlich hier, denn er wurde von mir beauftragt, diese an mich adressierte Postkarte hierher zu bringen«, sagte Tannenberg scharf und überreichte seinem ewigen Kontrahenten die Jugendherbergskarte. »Haben Sie noch mehr dieser völlig überflüssigen, unsere Ermittlungsarbeit störenden Anmerkungen zu machen, Herr Oberstaatsanwalt?«
Normalerweise hätte sich Dr. Hollerbach diese Provokation nicht bieten lassen, aber das neuerliche Gedicht hatte in Windeseile vollständig von ihm Besitz ergriffen. Mehrmals las er es murmelnd durch und machte sich noch nicht einmal über die letzte Strophe lustig, die ja schließlich seine Meinung über den Leiter der Kaiserslauterer Mordkommission ziemlich genau abbildete. »Das ist wirklich unglaublich! Woher weiß der das alles? Tannenberg, der beobachtet Sie! Der scheint es doch tatsächlich auch auf Sie persönlich abgesehen zu haben. Ich beantrage sofort Personenschutz für Ihre Familie.«
Tannenberg wusste zunächst nichts mit der glaubhaft zur Schau getragenen Besorgnis des Oberstaatsanwalts anzufangen, er registrierte nur die deeskalierende Wirkung, die seine Aussage auf die angespannte Stimmung hatte. »Ich glaube kaum, dass wir für solche Maßnahmen zur Zeit Personal zur Verfügung haben. Das ist auch nicht nötig. Ich glaube nicht, dass ich oder ein Mitglied meiner Familie ernsthaft gefährdet ist. Das gehört zu den Psychospielchen dieses Verbrechers, da bin ich mir ziemlich sicher.«
»Gut, war ja auch nur ein Angebot! Was gibt es Neues? Was hat zum Beispiel die Befragung der Anwohner nach dem Katzenfund ergeben? Übrigens hat die Pathologie des LKAs mitgeteilt, dass es sich bei der Katze zweifelsfrei um diejenige handelt, die aus der Wohnung des ersten Opfers verschwunden ist. Also, was ist mit den Anwohnern?«
»Leider erbrachte die Befragung kein greifbares Ergebnis. Sieht man einmal davon ab, dass eine ältere Frau unseren Dr. Schönthaler in dieser Nacht mit einer Plastiktüte in der Hand gesehen haben will«, sagte Schauß.
»Was? Der Gerichtsmediziner? Das ist doch wohl nur ein schlechter Scherz, oder?«, fragte der Oberstaatsanwalt ungläubig.
»Nur keine Panik! Wir haben bei mir einen feuchtfröhlichen Skatabend veranstaltet. Der Doc ist um Mitternacht an den Bahnhof, um Zigarren für uns zu kaufen«, erläuterte Tannenberg seelenruhig den unspektakulären Hintergrund.
»Männer! Zigarren, Skat, Alkohol! Warum sind Männer eigentlich nicht in der Lage, etwas Vernünftiges mit ihrer Freizeit anzufangen?«, fragte die Profilerin provokant.
»Sollen wir vielleicht häkeln, Teddybären ausstopfen oder Kochrezepte abschreiben?«, schoss der SOKO-Leiter sofort scharf zurück.
»Tannenberg, haben Sie eigentlich die Leserbriefe zu unserem Fall heute Morgen in der Zeitung gelesen?«, fragte Dr. Hollerbach, um das unproduktive Scharmützel zu beenden. »Die Leute sind sauer auf die Polizei, fühlen sich nicht geschützt, wehrlos einem Psychopathen ausgeliefert, sind ängstlich, ja geradezu hysterisch.«
»Nein, also ich bin bis jetzt noch nicht dazu gekommen, auch nur einen Blick in die Rheinpfalz zu werfen. Ich hab eben nicht so viel Zeit zur Muße wie Sie.«
»Na, das hat ja wohl eher etwas mit Ihrem Geburtstag zu tun. Am übertriebenen Arbeitseifer kann’s bei Ihnen ja nicht liegen!«, wehrte sich der Oberstaatsanwalt.
»Meine Herren, nicht schon wieder streiten. Sie brauchen Ihre Energie wirklich zur Zeit für andere Dinge«, mahnte die Profilerin.
»Sie haben recht, Frau Kollegin. Aber es ist einfach zum Verzweifeln. Die Öffentlichkeit, das Ministerium
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