Pinguin Mord
preisgab. Sie freute sich auf eine bergische Kaffeetafel auf
Schloss Burg, freute sich auf die saftigen grünen Hügel
des Bergischen Landes und auf Shoppingtrips in die
Nachbarstädte Remscheid und Solingen. Was war schon Berlin
gegen die gute alte Heimat, dachte sie und atmete tief durch. Ab
nach Hause!
8
Freitag, 21:00 Uhr,
Elberfeld, Nordstadt
»Lass mich nicht
hängen, Alter!«
Stefan drehte den
Zündschlüssel bis zum Anschlag und trampelte wie wild auf
dem Gaspedal herum. Der Motor im Heck seines Käfers blubberte
nur asthmatisch. Der 69er Käfer war sein ganzer Stolz. Sein
Auto lebte, da war Stefan Seiler sich ganz sicher. Leider nahm der
VW-Käfer immer dann seine Auszeit, wenn es recht unpassend
war. Wütend hieb der Reporter auf dem dünnen Lenkradkranz
herum. Er beugte sich auf dem Fahrersitz vor und starrte
kopfschüttelnd durch die kleine Windschutzscheibe. Es schien,
als würden die altehrwürdigen Stuckfassaden der Nordstadt
am Abendhimmel über ihm zusammenwachsen. Einst hatten
Fabrikanten der Textilindustrie diese Häuser für ihre
Arbeiter errichtet. Ende des 19. Jahrhunderts hatte man hier auf
engem Raum zusammengelebt, ohne Komfort und ohne Elektrizität.
Da man lange mit Petroleumlampen in den Häusern für Licht
gesorgt hatte, nannte man dieses Viertel auch heute noch den
»Ölberg«. Die damaligen Wohnquartiere der Arbeiter
hatten die Kriege fast ohne Beschädigungen überstanden
und waren irgendwann aufwendig saniert worden. Tom Tykwer hatte
dieses Viertel einmal »das Bergische San Francisco«
genannt. Tatsächlich, die engen und steilen Straßen
ähnelten sich. Stefan lebte gern auf dem Ölberg - trotz
knapper Parkplätze. Doch jetzt wäre er gern von hier
verschwunden. Er zählte einundzwanzig, zweiundzwanzig,
dreiundzwanzig und drehte noch einmal den Zündschlüssel.
Der kleine Boxermotor erwachte nun doch zum Leben. Ein breites
Grinsen huschte um Stefans Mundwinkel. »Na also, geht
doch«, freute er sich und steuerte den auberginefarbenen
Käfer die Marienstraße hinunter. Von seiner Haustür
aus brauchte er höchstens zehn Minuten bis zum Wuppertaler
Hauptbahnhof. Heike hatte darauf bestanden, dass er sie nicht vom
Düsseldorfer Flughafen, sondern vom heimischen
Döppersberg abholte.
Inzwischen war die
Nacht über Wuppertal hereingebrochen, und entsprechend wenig
Verkehr herrschte auf den Straßen von Elberfeld. Es bereitete
ihm auch keine Schwierigkeiten, um diese Zeit einen freien Parkplatz direkt
vor dem Bahnhof zu ergattern. »Wuppertal Elberfeld«
stand in großen, goldenen Lettern am Giebel über den
massiven Säulen des Quaderbaus. Das Gebäude hatte seit
seiner Einweihung 1850 schon gute und schlechte Zeiten gesehen.
Nach der Zerstörung im Krieg hatte der Bahnhof eine neue
Vorhalle erhalten. Stefan schaltete den Motor ab und zückte
die Geldbörse. Noch bevor der Parkplatzwächter zu einer
Schimpfkanonade ansetzen konnte, löste Stefan bei ihm ein
Parkticket und eilte in die Bahnhofshalle. Hinter der
gläsernen Eingangstür blieb Stefan kurz stehen.
Verschiedene Düfte drangen in seine Lunge. Neben der
Rolltreppe lungerte ein Obdachloser herum, der von Beamten des
Zolls dazu bewegt wurde, das Gebäude zu verlassen. Links lag
der Drogeriemarkt, rechts der Blumenladen. Da der Blumenladen um
diese Zeit die Pforten geschlossen hatte, überlegte er, Heike
mit einer Schachtel Pralinen aus dem Drogeriemarkt zu empfangen.
Doch sie würde ihn ausschimpfen und ihm von ihrer neuesten
Diät berichten. Inhalt der Standpauke würde sicherlich
sein, dass Pralinen nicht in ihren spartanischen
Ernährungsplan passten. Also würde er darauf verzichten,
sie mit zusätzlichen Kalorien in Empfang zu nehmen. Er wollte
sie nur endlich Wiedersehen. Zwei Jahre waren eine verdammt lange
Zeit gewesen. Es war höchste Zeit, dass sie wieder mehr
voneinander hatten. Einiges hatte sich inzwischen in der Stadt
geändert. Und Stefan war zum Chef vom Dienst bei der
Wupperwelle befördert worden.
Suchend und mit leeren
Armen blieb er neben der Rolltreppe, die ins untere Stockwerk des
Bahnhofs führte, stehen und blickte sich um. Der Obdachlose
krakeelte etwas von »Scheißbullen« und
»Hartz IV ist für’n Arsch«. Aus der Ferne
der Bahnhofspassage unter ihm drangen Gitarrenklänge an seine
Ohren, unterbrochen vom lauten Schimpfen eines weiteren
Obdachlosen. Reisende eilten hektisch an ihm vorüber, und
weiter hinten liefen Polizisten Streife. Eine alte Dame streifte
ihn mit ihrem Koffer, stammelte
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