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Pinguine frieren nicht

Pinguine frieren nicht

Titel: Pinguine frieren nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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Augen glomm ein böser Funke. Minutenlang starrte er Viktor so an, unbeweglich, finster, als ob er diese plötzliche Bösartigkeit in sich ansammelte. Und auf einmal explodierte die Wut, die rechte Faust traf Viktor im Gesicht, und Viktor verlor das Gleichgewicht, krachte auf den hölzernen Balkonboden und schlug mit der schon verwundeten Schläfe seitlich ans Geländer. Er verlor nicht das Bewußtsein, aber der [325] Schmerz lief von der Schläfe wie ein elektrischer Schock durch den ganzen Körper. Er zog im Liegen die Knie an und wartete auf weitere Schläge.
    Aber Chatschajew stand über ihm und starrte ihm minutenlang düster ins Gesicht. Er sah zu, wie die in den Balkon hereinwehenden Schneeflocken auf Viktors zerschlagener Unterlippe tauten, und dachte über etwas nach. Dann streckte er dem Liegenden die Hand hin, ohne den bösartigen Gesichtsausdruck zu ändern, half ihm aufstehen, und sie kehrten ins Zimmer zurück. Dort verschloß Chatschajew die Tür wieder von innen und füllte wieder Kognak in die Gläser. Er leerte sein Glas, ohne anzustoßen, im Stehen, trat ans Klavier, hob den Deckel und spielte darüber gebeugt irgendeine bekannte Melodie an. Nach einem halben Takt brach er ab, drehte sich zu Viktor um und schüttelte irgendwie ratlos oder staunend den Kopf.
    »Du hast mich übel reingelegt«, sagte er, aber seine Stimme klang nicht mehr bösartig, nicht mal gereizt.
    »Wie?« wunderte sich Viktor. »Wann?«
    »Deine Kleine…« Er schüttelte wieder den Kopf, und jetzt stand schon eindeutig Verblüffung auf seinem Gesicht. »Sie hat mich gezwungen, mein Wort zu geben…«
    »Und…«, fragte Viktor vorsichtig, »du willst es halten?«
    »Ich bin Tschetschene. Wenn ich mein Wort gegeben habe, ist dieses Wort hundertmal mehr wert als alle Versprechen von dir… Verstehst du das?«
    Viktor fühlte eine neue Gefahr, einen neuen bösartigen Zornausbruch nahen. Es fehlte nicht viel, und Chatschajew würde wieder ausrasten. Schon jetzt spürte Viktor auf [326] der Zunge vor allem den leicht salzigen Geschmack von Blut, den der Kognak nicht fortspülen konnte.
    Er tastete mit dem Finger nach der fest umwickelten rechten Schläfe. Ohne den Blick von dem schweigenden Chatschajew zu nehmen, fuhr er in die Innentasche seiner Jacke. Und während die Hand den kleinen Beutel mit den Papieren und der Visitenkarte ertastete, blitzte ein Gedanke auf, der ihm sagte, was er herausziehen und Chatschajew zeigen mußte, um der Lage die Spannung zu nehmen und noch einmal zu beweisen, daß er nicht schuld war. Nicht schuld woran? An gar nichts war er schuld!
    Viktor faltete das Blatt auseinander, legte die Zeichnung vom vermißten Pinguin Mischa auf den Tisch, strich sie mit den Handflächen glatt und hob den Blick wieder zu Chatschajew.
    Der Hausherr trat an den Tisch, nahm das Blatt mit der Kinderzeichnung und Sonjas Krakeln und stellte sich unter die Lampe, die mal hellere, mal dumpfere Lichtwellen aussandte. Er vertiefte sich in den gemalten Pinguin. Dann nahm er das Walkie-talkie vom Tisch und sprach etwas auf tschetschenisch hinein.
    »Geh, du wirst fortgebracht«, sagte er zu Viktor und legte das Walkie-talkie zurück.
    Viktor streckte die Hand aus, um Sonjas Zeichnung wieder an sich zu nehmen. Chatschajew schüttelte den Kopf. Er öffnete die Tür und wies dem Wächter mit einer Kopfbewegung auf Viktor.
    [327] 59
    Der Jeep kletterte den gewundenen, schmalen Feldweg hoch. Die gelben Strahlen der Scheinwerfer bohrten sich durch den fallenden Schnee und streiften rechts und links die langen Reihen kahler Baumstämme, die diesen Berghang bedeckten. Der tschetschenische Fahrer kniff hin und wieder die Augen zusammen. Der Wagen kam langsam voran. Viktor schlummerte auf dem Rücksitz.
    Der Fahrer gähnte. In seinem Kopf klangen wie ein spätes Echo die Worte nach, die Chatschajew vor einer Stunde zu ihm gesagt hatte: »Aslan, du bringst ihn für eine halbe Stunde zum Hundezwinger und anschließend zu Asa!« Aslan warf einen Blick auf den Sitz neben sich – dort lag eine Kalaschnikow mit doppeltem Magazin. Sie war ziemlich alt. Chatschajew hatte ihm eine neue mit klappbarem Kolben versprochen, sie ihm aber bisher nicht gegeben. Es war nur eine Frage der Zeit, die Hauptsache war, die neue Waffe noch in diesem Leben zu bekommen.
    Er sah sich nach seinem Passagier um. Chatschajews Befehl war etwas merkwürdig, aber die Regel ›Befehle des Kommandierenden werden nicht diskutiert‹ hatte er noch in der Sowjetarmee gelernt.

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