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Pinguine frieren nicht

Pinguine frieren nicht

Titel: Pinguine frieren nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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dünnen Kinnbart und gebogener Nase. Mit den roten Bartstoppeln auf den eingefallenen Wangen ähnelte er einem Inguscheten oder Dagestaner. Er wurde ebenfalls auf die Rückbank gesetzt. Auf dem Rückweg war es eng. Zwischen dem Rothaarigen und Viktor saßen die bewaffneten Leibwächter, also schwieg Viktor, auch wenn er gern ein Wort mit dem Soldaten geredet hätte. Der Rote seinerseits zeigte keinerlei Interesse an irgendwas, und gegen Ende, als sie schon durch den Wald fuhren, schlief er ein.
    Es war schon dunkel, als sie am Haus hielten. Dort verließen Asa und der Soldat den Jeep. Die anderen fuhren weiter.

[319] 58
    Das Wohnzimmer im ersten Stock erinnerte stark an ein Zimmer in einer großen Stadtwohnung. Nur war die Tür zu diesem Zimmer mit Metall verkleidet, und auch das in diese Tür geschnittene quadratische Guckloch und die zwei mächtigen Schlösser wirkten seltsam. Aber Krieg rechtfertigt und erklärt jede Seltsamkeit.
    An der Tür stand eine Wache mit einer MP . Im Licht der drei brennenden Kerzen glich der Wächter einem alten Ritter. Er trat schweigend beiseite, als Chatschajew und Viktor die Treppe hochkamen und stehenblieben. Chatschajew zog einen Schlüssel aus der Tasche seiner Jeans und schloß die Tür auf. Dann drehte er sich um und sagte etwas auf tschetschenisch zu dem Wächter. Der eilte hinunter, und die hölzernen Treppenstufen krachten unter seinen Tritten. Es war kühl im Haus, aber nicht kalt.
    Im Zimmer riß Chatschajew ein Streichholz an und entzündete eine dicke Kerze auf dem massiven runden Tisch. Dann ging er zur Tür und schloß ab.
    Auf dem Hof vor dem Fenster ratterte etwas los, und Viktor fuhr zusammen und warf einen Blick zu dem kleinen Fenster hinüber. Draußen breitete sich schon abendliche Dunkelheit aus, und vermutlich schneite es noch. Das Rattern wurde ein wenig leiser, rhythmischer, flacher und bildete bald ein durchaus erträgliches Hintergrundgeräusch. An der Decke flammte schwach eine Lampe auf, gab kaum Licht und beleuchtete sich hauptsächlich selbst. Aber nach ein paar Minuten erstrahlte sie plötzlich hell, so daß das ganze Zimmer erleuchtet war.
    [320] Chatschajew feuchtete zwei Finger mit Spucke an, erstickte den Docht der Kerze und setzte sich an den Tisch. Viktor wies er mit dem Kopf auf den Platz gegenüber.
    Viktor starrte verwundert auf das Klavier an der Wand, auf das Sofa, das Buffet mit Bar, ein dünn gerahmtes Porträt von Maxim Gorki, das neben einem Porträt von Schamil an der Wand hing. Nur das Tischchen unter dem Fenster, auf dem zwei kurzläufige MP s und eine Pistole lagen, harmonierte nicht ganz mit der allgemeinen friedlichen Atmosphäre im Zimmer.
    »Na? Willst du dir vielleicht Mut antrinken?« fragte Chatschajew und zog seine Tarnjacke aus.
    Er stand auf, warf die Jacke auf das Sofa und trat an das Buffet. In Jeans und einem blauen, grobgestrickten Pullover sah er am allerwenigsten wie ein Kämpfer aus, nicht mal wie ein Tschetschene.
    Er stellte eine Flasche Kognak auf den Tisch, zwei Kristallgläser dazu und füllte sie. Dann setzte er sich wieder Viktor gegenüber.
    »Also, beginnen wir ganz von vorn, damit es für dich leichter ist«, sagte er lächelnd. »Wer bist du?«
    Viktor nahm das Glas in die Hand, trank den Kognak aus und begann ruhig, fast gleichgültig seine jüngere Biographie zu erzählen. Er ließ nichts aus, weder die ›Kreuzchen‹ noch die Begräbnisse, nicht mal den Bankier Bronikowski. Nur über die Bankierswitwe schwieg er, wie überhaupt über sein kümmerliches Privatleben. Ausführlicher erzählte er von den Ereignissen aus der jüngsten Vergangenheit, von Sergej Pawlowitsch, den Wahlen und den PR -Beratern.
    [321] Chatschajew nickte und goß sich und Viktor Kognak nach, bis die Flasche leer war. Dann holte er eine zweite, öffnete sie und füllte wieder die Gläser. Aber Viktor war schon verstummt. Er hatte alles gesagt, oder praktisch alles, was er für wichtig hielt, für ausreichend, damit man ihm glaubte, damit man ihn am Leben ließ und Chatschajew nicht den kleinsten Verdacht mehr hegte.
    »Du lebst nicht langweilig«, bemerkte Chatschajew.
    Plötzlich ertönte vom Sofa ein lautes Knistern. Chatschajew sprang auf, zog das Walkie-talkie aus der Jackentasche und sprach mit jemandem auf tschetschenisch. Danach legte er das Gerät neben die Flasche auf den Tisch.
    »Das ist alles ganz interessant«, nahm Chatschajew den Faden wieder auf. »Nur wer kann beweisen, daß deine Geschichte wenigstens zum Teil

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