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Pinguine frieren nicht

Pinguine frieren nicht

Titel: Pinguine frieren nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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hockte sich hin, knöpfte die Tasche auf und fuhr mit der Hand hinein. Die Finger stießen auf die weiche Aschetüte. Dann berührten sie kaltes Metall. Viktor zog den Stoff weiter auseinander, spähte ins Innere und hielt den Atem an. Völlig offen lag da der Goldklumpen auf dem Grund der Tasche. Daneben der Emailbecher mit Winnie-Pu. Viktor nahm ihn hoch, drehte ihn hin und her und legte ihn wieder hinein.
    ›Wie das?‹ wunderte er sich. Hatte etwa kein Mensch die Tasche überprüft, während sein mit irgendeinem Schlafmittel vollgepumpter Körper Militärposten und andere Kontrollpunkte passierte? Hatte etwa niemand auch nur aus Neugier nachgeschaut?
    Viktor versuchte sich an die vergangene Nacht und an den Moment des russisch-ukrainischen Grenzübertritts [352] zu erinnern. Er erinnerte sich nicht. Es hatte keinen solchen Moment gegeben. Niemand hatte ihn geweckt, niemand wollte die Papiere sehen.
    Viktor faßte noch mal in die Tasche und fand den Beutel mit den beiden Pässen und der Kreditkarte, zusammen mit einem Packen zerfranster kleiner Dollarscheine. Solche nahm in Kiew womöglich gar niemand!
    Ihm war nach Kaffee. Aber noch mehr nach einer Toilette.
    Beim Händewaschen im Bahnhofsklo betrachtete Viktor sich im Spiegel, und wieder wurde es ihm unheimlich zumute: ein Stoppelbart, den Kopf mit irgendeinem schmutzigen, einstmals weißen Stoffstreifen umwickelt – seltsam, daß man ihn nicht schon in Taganrog auf die Miliz gebracht hatte!
    Kaum besah er sich so im Spiegel, meldete sich auch schon die Wunde in der rechten Schläfe. Aber Viktor jagte sie in Gedanken zum Teufel und wusch sich das Gesicht. Sah wieder in den Spiegel. Ihm war jetzt nicht mehr nach Kaffee. Er mußte auf schnellstem Weg nach Hause, bevor man ihn hier auf die Wache schleppte. Im Zurücktreten vom Waschbecken bemerkte er noch etwas Seltsames an seiner Katastrophenschutzjacke. Er beugte sich wieder näher zum Spiegel und besah sich die drei links auf seine Brust gehefteten Ordensstreifen.
    ›Ein Scherz?‹ überlegte er und hob schon die Hand, um die Streifen abzureißen und sie in der Tasche verschwinden zu lassen oder fortzuwerfen.
    Aber Viktors Gesten und Gedanken fehlte die Überzeugung, und er steckte statt dessen die Hand in seine [353] Jackentasche. Dort gab es eine weitere Überraschung: In der Tasche lag ein Ausweiskärtchen. Er zog es heraus. Es war der Militärausweis des Sergeanten Kowalew, Sergej Fjodorowitsch. Zerknittert, verwittert und mit dem Foto eines Mannes, der Viktor ganz entfernt ähnlich sah.
    Viktor wurde plötzlich nervös und sah sich schon nach allen Seiten um, ob er nicht etwa auch hier verfolgt wurde.
    In der Halle kam ihm eine Militärpatrouille entgegen, zwei Offiziersanwärter und ein Offizier. Einer der Offiziersanwärter riß die Hand hoch, um Viktor zu salutieren, bis er aus dem Augenwinkel merkte, daß sein Offizier diesen Mann in der Uniform des Katastrophenschutzministeriums ignorierte. Vielleicht trugen so eine Uniform ja jetzt auch die Angler? Man konnte jede beliebige Uniform kaufen, sollte man da vor jedem Tarnanzug salutieren?
    Die Patrouille marschierte vorbei. Und am Bahnhofsausgang tauchte ein Mann auf, der seine Fahrdienste anbot.
    »Ich fahre Sie, nicht teuer!« sagte er.
    »Sind zehn Dollar genug?« fragte Viktor und nannte die Adresse.
    »Ja!« antwortete der Mann und wollte Viktor die Tasche abnehmen. Aber Viktor gab die Tasche nicht aus der Hand. Da führte der Mann Viktor einfach zu seinem auf dem Vorplatz abgestellten Wagen.
    [354] 66
    Vor seiner Tür stellte Viktor die Tasche auf die Gummimatte mit der Aufschrift Welcome, hockte sich hin und öffnete sie ein weiteres Mal. Er zog den Beutel mit den Papieren und der Kreditkarte heraus, aber da war kein Schlüssel. Er dachte nach und versuchte sich zu erinnern, wann er seine Wohnungsschlüssel zuletzt in der Hand gehabt hatte. Er konnte sich nicht erinnern. Vielleicht hatte er gar keine Schlüssel dabeigehabt? Weder in Tschetschenien noch in Moskau? Dafür fiel ihm die Sporttasche mit der Jacke und den alten Kleidern ein. Die Tasche, die er dem alten Tschetschenen zurückgelassen hatte. ›Wahrscheinlich dort, in der Jacke oder in der Tasche‹, entschied Viktor. Er stand auf und klingelte.
    »Großer Gott!« entfuhr es Nina, als sie die Tür aufmachte. »Komm rein!«
    Zu seinen Füßen maunzte die Katze. Viktor setzte sich gleich auf den Boden und zog die schmutzigen Stiefel aus. Die olympischen Ringe seiner Fußlappen, die

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