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Pinguine frieren nicht

Pinguine frieren nicht

Titel: Pinguine frieren nicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andrej Kurkow
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Mischa?«
    »Er kommt bald«, antwortete Viktor.
    »Bist du verwundet?«
    Viktor nickte.
    »Ich auch!« Sonja streckte Viktor ihren rechten, ringsum jodgemusterten Zeigefinger hin. »Wir haben Arzt gespielt. Ich habe ihre Zähne untersucht, und da hat sie mich gebissen!«
    [358] »Sonja«, rief Nina. »Komm her und hilf mir. Laß Papa sich waschen!«
    »Ich schrubbe ihm den Rücken!« rief Sonja zurück.
    »Ach, nein«, bat Viktor. »Später.«
    »Wie du willst!« Sonja zuckte mit den Schultern und lief hinaus.
    Sie aßen schweigend. Als erstes schaute Viktor nach der Urne mit Sergejs Asche. Sie stand an ihrem Platz auf dem Fensterbrett beim Gasherd. Sergejs Anwesenheit, und sei es in dieser Form, beruhigte Viktor, und er kaute Würstchen mit Kartoffeln und sah von Zeit zu Zeit hinüber zu der Urne. Nina, die ihm gegenübersaß, wollte er nicht ansehen. Dabei hatte sie sich noch schnell hübsch gemacht, sich umgezogen und das Gesicht mit Rouge belebt.
    Sonja, die zwischen ihnen saß, blickte manchmal neugierig zwischen Nina und Viktor hin und her. Aber sie brach das Schweigen auch nicht.
    Nach dem Essen ging Nina daran, die Wunde zu untersuchen. Sie löste den schmutzigen improvisierten Verband von Viktors Kopf und warf ihn sofort in den Mülleimer. Sie holte Watte und Peroxid und säuberte die Wunde, was einen neuen, heftigen Schmerz auslöste. Viktor schnitt eine Grimasse.
    »Du mußt zum Arzt«, sagte Nina vorsichtig. »Da stimmt was nicht…«
    Sie drückte ein Stück Watte an die nicht verheilende Stirn und umwickelte den Kopf mit einer frischen Binde.
    ›Zum Arzt?‹ überlegte Viktor. Dann sah er Nina aufmerksam an und fragte: »Was ist heute für ein Tag?«
    »Dienstag.«
    [359] 67
    Der Mann, der Viktor in seinem Wagen nach Teofania fuhr, verlangte zwanzig Griwni. Die Fahrt dauerte eine halbe Stunde. Es schneite.
    Viktor trat durch das Tor zum Universitätskrankenhaus und wanderte weiter zum Gelände der Tierklinik. Dort blieb er für einen Augenblick stehen. Er blickte sich um und sah eine hübsche junge Frau mit Brille und brauner Felljacke, die einen Schäferhund spazierenführte. Der Hund war furchtbar abgemagert und trat kaum mit den Hinterpfoten auf. Hin und wieder legte er sich in den Schnee.
    »Cäsar! Komm! Spazieren!« bat die junge Frau, redete ihm gut zu.
    Der Hund erhob sich wieder und sah Viktor an, dann wandte er sich mit der Schnauze nach seinem Frauchen um.
    Viktor folgte dem gut ausgetretenen Pfad, der ihn direkt zum Eingang zur Klinik führte. Er stieg hinauf in den ersten Stock und klopfte an die Tür des Stationsarztes.
    »Kommen Sie rein!« hörte er eine Männerstimme.
    Am Tisch saß Ilja Semjonowitsch im weißen Kittel. Der Arzt hatte sich nicht im geringsten verändert, aber seit dem Tag ihrer letzten Begegnung war ja auch gar nicht so viel Zeit vergangen – ein paar Monate nur.
    Ilja Semjonowitsch musterte Viktor scharf.
    »Sie waren schon mal hier, scheint mir?« fragte er. »Ja! Mit dem Pinguin! Wo ist er denn?«
    »Zur Zeit noch weit weg«, antwortete Viktor.
    [360] »Womit kann ich Ihnen dann helfen?«
    Viktor seufzte.
    »Könnten Sie mich vielleicht mal ansehen?« Er faßte sich mit der Hand an den Kopfverband.
    »Sie?« wunderte sich Ilja Semjonowitsch. »Wie komme ich zu dieser Ehre? Ich habe doch schon vor langem das Fach gewechselt!«
    »Entschuldigen Sie, andere Ärzte kenne ich nicht.« Viktor breitete hilfos die Arme aus.
    »Gut, setzen Sie sich auf die Liege!«
    Ilja Semjonowitsch nahm den Verband ab, holte seine Brille vom Tisch und beugte sich über die Wunde.
    »Ach herrje!« meinte er verblüfft. »Sind Sie schon lange so unterwegs?«
    »Ein paar Wochen.«
    Ilja Semjonowitsch ging zum Medizinschrank und nahm dort eine Pinzette, Watte und ein Fläschchen Alkohol heraus.
    »Jetzt tut es weh!« warnte er und näherte die desinfizierte Pinzette der Wunde.
    Ein scharfer, durchdringender Schmerz fuhr von der Stirn aus durch den ganzen Körper, und Viktor biß die Zähne zusammen und schloß die Augen. Irgendwo draußen, außerhalb seines schmerzverschreckten Körpers erklang die überraschte Stimme des Arztes: »Aha! Da haben wir das Stück. Und Sie, legen Sie sich erst mal hin!«
    Der Kopfschmerz ging vorüber, und nur ein heftiges Brennen in der rechten Schläfe blieb zurück. Viktor lag auf dem Rücken und starrte an die Decke.
    »Und, wie?« Ilja Semjonowitsch beugte sich über ihn.
    [361] »Haben Sie’s überlebt?«
    Dann grinste er. »Kommen Sie, stehen Sie auf,

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