Pinguine frieren nicht
Schäferhundbesitzer. »Sie können ihn doch nicht ohne Leine laufen lassen!«
Sonja sprang zu Mischa hin und umarmte ihn.
»Er beißt nicht!« erklärte sie dem Mann.
Nach dem Mittagessen fuhr Viktor nach Golossejewo. Er mußte von Pascha die Telefonnummern der Journalisten holen, einen Bus organisieren und überhaupt seinen alten und neuen Chef Sergej Pawlowitsch mit der erfolgreich erledigten Mission erfreuen.
Aber der Chef war nicht zu Hause. Dafür war Pascha auf seinem Posten und erklärte, die Journalisten werde er selbst anrufen. Und die Hauptsache: Er übergab Viktor in Sergej Pawlowitschs Namen ein Handy und einen Stapel Visitenkarten, auf denen in nobler Schrift gedruckt war: ›Solotarew Viktor Aleksejewitsch, Abgeordnetenberater‹, daneben gleich die Nummer seines neuen Handys. Pascha erklärte ihm, wie man das Telefon benutzte und wie man es auflud.
»Das ist alles, heute kannst du dich amüsieren gehen«, sagte Pascha noch. »Aber sei morgen früh um sieben hier. Den Bus bestelle ich. Du fährst von hier aus los!«
[400] 78
Der Weg zum Kinderheim erwies sich als lang und holprig. Der alte, weitgereiste Bus umkurvte langsam die Löcher und tiefen Rinnen im Asphalt, genauer, in den Resten des Asphalts, den man noch zu sowjetischen Zeiten einfach über einen gewöhnlichen Feldweg gelegt hatte. Sie fuhren Richtung Tschernobyl und bogen etwa fünfzehn Kilometer vor der gesperrten Zone links ab.
»Die reinste Wildnis!« nickte der Fahrer mit einem Seitenblick auf das Schild mit der Geschwindigkeitsbegrenzung 30 km/h. »Hier holst du aus keinem Panzer dreißig Stundenkilometer raus, da fliegt dir der Turm mit der Kanone um die Ohren!« Sie erreichten das Dorf Kalinowka und befanden sich gleich auf seiner Hauptstraße, die gleichzeitig die einzige Straße war. Vor einem Holzhäuschen mit dem Schild ›Post‹ hielten sie, und Viktor ging hinein und fragte nach dem Kinderheim.
»Die Leninstraße bis zum Ende, und dort sehen Sie es schon links! So ein zweistöckiges Haus!« erklärte die Frau mit dem Kopftuch, nachdem sie sich von den vor ihr ausgebreiteten Listen der örtlichen Pensionsempfänger losgerissen hatte.
Fünf Minuten später betrachtete Viktor schon das etwas abseits von den anderen Häusern stehende zweistöckige, kastenförmige Gebäude aus roten Ziegelsteinen. Wie es aussah, war im Dorf in den letzten zwanzig Jahren nur dieses eine Haus neu gebaut worden. Um das Kinderheim herum war wohl erst im letzten Sommer ein Garten angelegt worden. Vor dem einzigen Eingang hatte man einen Platz [401] mit quadratischen Platten ausgelegt und mit Holzbänken umrahmt. Auf dem Platz war der Schnee sorgfältig weggefegt, und auch von der Straße zum Haus war ein akkurater Pfad aus dem Schnee geschaufelt.
»Sie haben uns gefunden!« freute sich die aus der Tür tretende Leiterin Galina Michailowna. »Die Kinder warten schon. Sie haben den Bus vom Fenster aus gesehen und sind gleich zu mir gelaufen.«
Da sah Viktor auch die Kinder. Sie waren verschiedenen Alters, zwischen sechs und vielleicht vierzehn, und sie strömten in großer Zahl auf den Platz vor dem Haus heraus. Sie kamen angerannt, blieben stehen und wandten die Augen nicht von dem Bus.
Viktor überflog schnell – es waren sicher dreißig Kinder. Und wieviel wollte Sergej Pawlowitsch haben? Zwanzig?
»Bringen Sie uns auch wieder zurück?« fragte Galina Michailowna. »Ich habe die Köchin heimgeschickt und gesagt, daß heute keiner hier Mittag ißt. Das Abendessen bringt sie dann mit dem Leiterwagen, sie hat ein Pferd.«
Viktor drehte sich zu der Leiterin um. Sie stand neben ihm, ein weißes Wolltuch um den Kopf, blaue Daunenjacke und Jeans, in absatzlose Stiefel gesteckt.
»Ja, natürlich werden Sie zurückgebracht!« nickte Viktor.
Er zog das Handy heraus und wählte Paschas Nummer.
»Hör mal, hier sind mehr als zwanzig. Ich nehme alle mit!«
»Wir haben nur zwanzig Geschenke!«
»Warte!« bat Viktor und wandte sich wieder an die Frau. »Wie viele sind Sie insgesamt?«
[402] »Zweiundvierzig Kinder. Und ich.«
»Zweiundvierzig«, teilte Viktor Pascha mit. »Fahr los und kauf noch was. Pawlowitsch gibt es dir wieder!«
»Und wenn nicht, kriege ich es von dir!«
»Einverstanden!«
Das Lächeln auf Sergej Pawlowitschs glattrasiertem Gesicht wandelte sich rasch von säuerlich-verständnislos in ein echtes, freundliches Lächeln, als er die Kinder begrüßte, die durch das offene Tor in den Hof geströmt waren. Am Tannenbaum
Weitere Kostenlose Bücher